Medizinkonzept, Millionendefizit, Standortfragen und der Bau des neuen Flugfeldklinikums – kaum ein Wirtschaftsunternehmen im Kreis Böblingen steckt in einer solchen Umbruchphase wie der Klinikverbund Südwest. Mit dem Fachkräftemangel und der Klinikreform kommen noch weitere Herausforderungen hinzu, die die Führung des Klinikverbunds jetzt und auch in der Zukunft meistern muss.
An der Spitze der Führungsebene steht Alexander Schmidtke. Der Geschäftsführer stieß im November 2022 zum Klinikverbund. Schon bei der Vorstellung war der Arbeitsauftrag des 59-Jährigen klar: Das Schiff Klinikverbund muss von der See mit hohem Wellengang in einen sicheren Hafen geführt werden. Um das Ziel – die finanzielle Konsolidation und Aufrechterhaltung des Klinikbetriebs – zu erreichen, bekommt Schmidtke nun personelle Verstärkung.
Last auf mehrere Schultern verteilen
Während bisher drei Direktoren für jeweils zwei Klinikstandorte zuständig waren, wird bis spätestens April jedes Krankenhaus im Verbund – also Böblingen-Sindelfingen, Herrenberg, Leonberg, Calw und Nagold – einen eigenen Klinikdirektor haben. In Böblingen-Sindelfingen werden es aufgrund der Größe und im Hinblick auf die Flugfeldklinik zwei sein.
„Es gibt heutzutage keine Krankenhäuser, die keine eigenen Direktoren haben. Wir wollen unsere Präsenz an den Standorten verstärken. Wir stehen vor großen Herausforderung“, erklärt Schmidtke und fügt an: „Die Führung des Klinikverbunds ist keine One-Man-Show. Wir brauchen visionäre Mitarbeitende, die jeden Tag vor Ort vertreten sind und die Wirtschaftlichkeit dort verbessern. Dem trägt die neue Führungsstruktur Rechnung.“ Deshalb an Stellen zu sparen, die direkt am Patienten arbeiten, komme nicht in Frage, unterstreicht Schmidtke und verweist auf 80 Vollzeit-Pflegekräfte, die zwischen 2022 und 2024 eingestellt wurden.
Fehlbeträge belasten Klinikverbund stark
Die Umstrukturierung an der Spitze sei aber auch eine Reaktion auf die finanziellen Probleme. Im September 2024 war deutlich geworden, dass die Kliniken ohne das Einschreiten des Kreises vor der Insolvenz gestanden hätten. Das Defizit 2024 beträgt rund 57 Millionen Euro. Für 2025 rechnet Schmidtke mit einem Minus von 60 Millionen Euro. „Politik und Gesellschafter haben es klar formuliert: Wir brauchen die schwarze Null, denn auf Dauer können die Trägerkreise das Minus nicht mittragen“, sagt der Geschäftsführer.
Dass trotz Einsparmaßnahmen wie Personalabbau in der Verwaltung die Zahlen immer noch feuerrot sind, liege an mehreren Faktoren. Zum einen führt Schmidtke die aus seiner Sicht negativen Auswirkungen der Klinikreform an, die er mit 20 bis 25 Millionen Euro Minus ansetzt. Zum anderen hätten höhere Tariflöhne die Ausgaben des Konzerns gesteigert: „Die höheren Löhne für die Beschäftigten sind absolut berechtigt. Wir können diese Belastungen aber nicht durch die Erlöse refinanzieren.“
Mehrgleisig zum Erfolg
Um Herr über die ausufernden Finanzen zu werden, soll ein Dreiklang an Maßnahmen helfen. Ganz viel Hoffnung steckt der Klinikgeschäftsführer in das Medizinkonzept. „Das Medizinkonzept sorgt für eine Konzentration von medizinischen Leistungen. Damit schaffen wir Doppelstrukturen ab. Die Zusammenführungen werden wirtschaftlich einzahlen“, ist der Betriebswirt überzeugt. Außerdem sollen effizientere Arbeitsweisen wie mehr Digitalisierung die Kosten senken.
Weil der Klinikchef in der Notfallversorgung auch durch die wahrscheinliche Schließung der Herrenberger Bereitschaftspraxis zukünftig mehr Patienten einkalkulieren muss, erwartet er von der Politik finanzielle Unterstützung: „Wir übernehmen hier eine wichtige Aufgabe. Dafür braucht es aber auch eine Refinanzierung.“
Der Standort Herrenberg muss aber wohl nicht nur den Wegfall der Notfallpraxis verkraften, auch den Status als Klinik wird das Krankenhaus in Zukunft nicht mehr innehaben. Das Medizinkonzept sieht vor, aus dem Klinikum dort ein Gesundheitszentrum mit stärkerem Fokus auf ambulante Behandlungen zu machen. Dass dieser Prozess nicht sorglos beobachtet wird, ist Alexander Schmidtke bewusst: „Wir nehmen die Ängste ernst.“ Besonders drastisch empfanden viele die Schließung der Geburtshilfe – einer seit Jahrzehnten beliebten Adresse für werdende Eltern. Schmidtke verteidigt die Entscheidung: „Ein Kreißsaal benötigt eine 24/7-Notaufnahme sowie eine Intensivmedizin. Das können wir nicht mehr vorhalten.“
Geburten zukünftig in Böblingen und Nagold
Schwangere und Ungeborene seien dadurch aber nicht in Gefahr: „Mit dem Flugfeldklinikum und Nagold wird es genug Kapazitäten geben, um mehrere Tausend Geburten im Jahr zu stemmen“, versichert der Geschäftsführer. Bis im Flugfeldklinikum allerdings die ersten Babys das Licht der Welt erblicken, müssen noch einige Fortschritte auf der Böblinger Baustelle erzielt werden.
Der Klinikverbund im Umbruch
Standorte
Der Klinikverbund betreibt in Böblingen, Sindelfingen, Herrenberg, Leonberg, Calw und Nagold Krankenhäuser. Zukünftig sollen sie unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Das Flugfeldklinikum soll dabei zum Maximalversorger werden.
Finanzen
In den vergangenen Jahren bewegte sich das Minus zwischen 50 und 60 Millionen Euro. Nur durch die Trägerlandkreise Böblingen und Calw konnte eine Insolvenz 2024 abgewendet werden