Ein Schmuckhändler und eine Gastronomin melden sich im Bezirksbeirat Mitte zu Wort. Sie sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kundschaft – die Polizei sieht allerdings kein Problem.
Aus fünf Minuten werden 30. Zu Beginn jeder Bezirksbeiratssitzung dürfen Bürgerinnen und Bürger sich einbringen. Im Bezirksbeirat Mitte gingen zuletzt zwei Gewerbetreibende aus dem Leonhardsviertel ans Mikrofon. Ihre Wortmeldungen glichen jedoch eher einem Hilferuf.
„Ich bin heute hier, weil mir so langsam der Kragen platzt“, sagt Deniz Sever, die gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin die Feinkostbar L’Hommage in der Leonhardstraße betreibt. Ständig gebe es in ihrem Viertel Ärger. Um einen Eindruck zu bekommen, müsse man sich nur die Straftaten der vergangenen Wochen anschauen. Anfang Juli geriet ein 25-Jähriger nachts mit zwei Männern aneinander. Er wird getreten und mit einem Messer attackiert, kommt schwer verletzt in ein Krankenhaus. Am Montag, 3. Juli, musste ein Zivilbeamter am helllichten Tag seine Waffe ziehen, um einen Streit zu schlichten. Einer der Tatbeteiligten führte eine Schere bei sich, sie fiel im Gerangel zu Boden. Zwei Tage später konnte die Polizei einen 25-Jährigen im Leonhardsviertel vorläufig festnehmen, der vormittags einer 54 Jahre alten Frau einen Rucksack gestohlen haben soll. Bei der Durchsuchung des Mannes fanden die Beamten ein Messer. Zwei weitere Fälle sind ebenfalls nicht alltäglich: In der Katharinenstraße stürzte ein Mann aus einem Fenster. Er kommt mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus. Ein Hund, der in der Leonhardstraße aus dem zweiten Stock fällt, hst weniger Glück. Das Tier stirbt.
Verkürzte Öffnungszeiten
„Ich bin türkische Staatsbürgerin, bin Gastarbeiterkind und lebe seit 1982 in Stuttgart – und dennoch nenne ich das Kind beim Namen: Wir haben ausländische Clans im Viertel, Drogendealer. Regelmäßig werden unsere Gäste belästigt, es wird gebettelt. Warum wird es schlimmer? Warum wird nicht härter durchgegriffen?“, fragte sie. Ähnlich äüßerte sich der Schmuckhändler Ioannis Karvelidis, der am Leonhardsplatz seit knapp vier Jahren einen Laden hat. „Die Kriminalität nimmt immer mehr zu, meine Kundschaft, zu der viele Frauen gehören, fühlt sich nicht mehr sicher“, sagt der griechische Schwabe, der seine Öffnungszeiten um zwei Stunden verkürzt hat. „Aus Sicherheitsgründen schließe ich bereits um 17 Uhr.“ Es sei keine gute Situation. „Wir brauchen Sicherheit und Veränderung.“ Vor rund zehn Jahren seien die Streifen quasi ständig im Kreis gefahren, fügt Deniz Sever hinzu. „Wenn das eine Polizeiauto in die Leonhardstraße einfuhr, fuhr ein anderes aus der Weberstraße raus. Heute ist das nicht mehr so.“
Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle betonte im Bezirksbeirat, dass sie genau wisse, was im Leonhardsviertel passiert. „Ich sehe da durchaus Handlungsbedarf. Als Handels- und Gewerbetreibende müsse man dort sicher sein, das ist unser Anspruch.“ Zugleich fragt sich Kienzle, warum man die Probleme nicht in anderen Wohnquartieren hat. „Woran mag das liegen? Vielleicht auch an einer besonderen Form der mehrheitlichen Nutzung?“ Ein Seitenhieb in Richtung der Bordellbetriebe, den Deniz Sever nicht so stehen lassen will. „Die Laufhäuser sind nicht das Problem. Weder das Klientel noch die Frauen selbst“, sagt sie. „Wer betrunken ist, kommt nicht rein, wer Ärger macht, wird rausgeschmissen. Problem sind die Frauen, die auf der Straße arbeiten und ausgebeutet werden. Ich frage mich, warum es im Rotlichtviertel von Amsterdam oder der Reeperbahn funktioniert, bei uns aber nicht. Wir haben hier eine wunderschöne Altstadt, auf die wir stolz sein sollten. Aber bei uns stimmt etwas nicht.“
Straßenprostitution seit Mai leicht angestiegen
Im zuständigen Polizeirevier 1 teilt man diese Ansicht nicht. „Seit Mai verzeichnen wir wegen des warmen Wetters im Bereich des Straßenstrichs einen minimalen Anstieg“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. „Die Zahl der Prostituierten, die sich meist rund um das Züblin-Parkhaus aufhalten, hat im Verlauf der letzten Jahre kontinuierlich abgenommen.“ Dass sich die Sicherheitslage verschlechtert habe, könne die Polizei mit Blick auf die registrierten Straftaten ebenfalls nicht feststellen. „Mitarbeiter des zuständigen Dezernats sind täglich, insbesondere nachts und an Wochenenden vor Ort und führen Kontrollen durch“, sagt Widmann. „Sowohl auf der Straße als auch in den Laufhäusern.“ Kollegen in zivil hätten auch ein Auge auf den Drogenhandel. „Wenn Brennpunkte festgestellt werden, wird entgegengewirkt.“ Zugleich betont Widmann, dass Revierleiter Jens Rüger immer ein offenes Ohr für Bürger und Gewerbetreibende habe.