Erdogan hat die Tonlage in der Auseinandersetzung mit Deutschland verschärft. Die Bundesrepublik sei eines der wichtigsten Aufnahme-Länder für „Terroristen“ geworden.

Istanbul - Nach der Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Zustand der Pressefreiheit in der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Tonlage in der Auseinandersetzung verschärft. Deutschland sei eines der wichtigsten Aufnahme-Länder für „Terroristen“ geworden, sagte Erdogan am Donnerstag in einer Rede im Präsidentenpalast in Ankara.

 

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte, er könne die Äußerungen Erdogans „überhaupt nicht nachvollziehen“. „Sie (Deutschland) werden als Gastgeber für den Terrorismus in die Geschichte eingehen“, sagte Erdogan. Er habe Merkel nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli rund 4000 Anträge zur Auslieferung von Verdächtigen übergeben, die sich in Deutschland aufhielten. Jedoch habe er keine Antwort erhalten.

„In höchstem Maße alarmierend“

Offensichtlich interessiere sich die Bundesregierung mehr dafür, sich besorgt über das Schicksal von Zeitungen zu äußern, die „Terrorgruppen unterstützen“. Merkel hatte am Vortag das Vorgehen Ankaras gegen die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ als „in höchstem Maße alarmierend“ verurteilt. Die türkische Polizei hatte am Montag den Chefredakteur Murat Sabuncu und rund ein Dutzend weitere Mitarbeiter inhaftiert. Ihnen wird von der türkischen Führung unter anderem vorgeworfen, mit ihren Artikeln den gescheiterten Militärputsch Mitte Juli „legitimiert“ zu haben.

Für den Putschversuch macht Erdogan die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen verantwortlich und hat seitdem zehntausende mutmaßliche Anhänger des Predigers festgenommen, suspendiert oder entlassen. Er sei „besorgt“, dass Deutschland zum „Hinterhof“ von Gülens Bewegung werde, die von Ankara als Fethullah Terrororganisation (Feto) bezeichnet wird. „Deutschland ist eines der wichtigsten Länder geworden, das Terroristen aufnimmt“, sagte Erdogan. „Seht Sie Euch an. Sie belehren uns und sagen, ‚wir sind besorgt’“, fügte Erdogan hinzu.

Besorgnis über deutsche Haltung

Dabei sei es im Gegenteil so, dass die deutsche „Haltung uns besorgt“. Zugleich warf er Berlin vor, Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie der linksextremen Gruppe DHKP-C zu beherbegen. „Ich habe es immer gesagt, Terrorgruppen sind wie Skorpione: Am Ende drehen sie sich um und stechen diejenigen, die sie auf dem Rücken tragen“, warnte der Staatschef. Merkel hatte am Mittwoch kritisiert, das „hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit“ werde in der Türkei „immer wieder aufs Neue eingeschränkt“. Die Verhaftungswelle bei „Cumhuriyet“ sei das „jüngste Beispiel dieser an sich schon sehr traurigen Entwicklung“.

Bundesregierung hat „sehr große Zweifel“

Die Bundesregierung habe „sehr große Zweifel, dass das den rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht“. Die Bundesregierung werde die Ermittlungen und die Verhandlungen gegen die inhaftierten Journalisten genau verfolgen, sagte Merkel. Steinmeier teilte am Donnerstag über den Kurzbotschaftendienst Twitter mit: „Auch wenn wir uns enge und konstruktive Beziehungen zur Türkei wünschen, darf uns das nicht dazu veranlassen, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es aus unserer Sicht um die Gefährdung von Presse- und Meinungfreiheit geht.“

Linken-Parteichef Bernd Riexinger forderte Merkel auf, angesichts des anhaltenden „Abrisses der Demokratie in der Türkei“ endlich zu handeln. Nötig seien der Abzug der Bundeswehr aus der Türkei und der Stopp aller Waffenlieferungen, erklärte er in Berlin. Zudem müsse sich Berlin für den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen und die Aufkündigung des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens einsetzen.