Kaum machte die Nachricht der verletzten Frau aus Sachsenheim die Runde, begannen wilde Spekulationen im Internet. Viele Äußerungen zeigen, wie eisig, aufbrausend und unmenschlich das gesellschaftliche Miteinander leider oft ist.

Ludwigsburg : Emanuel Hege (ehe)

Die Menschen in Sachsenheim und der Region sind schockiert wegen der Messerattacke am Mittwoch. Ein 52-jähriger Mann hat am helllichten Tag seine Frau auf dem Bahnhofsvorplatz mit einem Messer angegriffen, verletzte sie schwer und sich auch. Dass so eine abscheuliche Tat Emotionen hervorruft, ist klar. Es ist völlig verständlich, wenn Menschen Angst und Wut verspüren und wissen wollen, wie solche Taten gestoppt werden können.

 

Mit nachvollziehbaren Emotionen hat jedoch das, was nach dem Messerangriff in Sozialen Netzwerken stattgefunden hat, gar nichts mehr zu tun. Besonders Facebook-User verbreiteten noch vor den ersten verlässlichen Polizeiinformationen Gerüchte über den Angriff, vorverurteilten den Täter als kriminellen Flüchtling und machten die Bundespolitik für diese Messerattacke verantwortlich.

Es ist nur schwer zu ertragen: Zwei Menschen hätten um ein Haar ihr Leben vor dem Sachsenheimer Bahnhof verloren, die Frau schwebt immer noch in Lebensgefahr – und unzählige Menschen instrumentalisieren die Tat, um ihren Hass auf die Politik und ihren Protest gegen Migration zu unterstreichen. Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal das Tatmotiv bekannt war, geschweige denn die Migrationsgeschichte des Täters. Beschwichtigende Kommentare wie beispielsweise der Einwand, was die Politik denn gegen Beziehungstaten ausrichten solle, wurden von der Masse an hasserfüllten Botschaften überschwemmt.

Es ist mittlerweile Normalität: So gut wie jede Gewalttat einer Person mit Migrationshintergrund wird von bestimmten Teilen der Gesellschaft herangezogen, um die eigenen Vorurteile und Weltbilder zu bestätigen. Die Hintergründe der Taten, die einzelnen Schicksale und Motive – die Grautöne – sind dabei egal. In den Sozialen Medien bestimmen Hohn, Zynismus und Pauschalisierung. Der giftigste und nicht der triftigste Kommentar gewinnt.

Dabei könnten diese schrecklichen Taten einen ganz anderen Effekt haben – sie könnten dazu führen, dass die Menschen zusammenrücken. Der Angriff in Sachsenheim hat nämlich gezeigt, wie wertvoll gegenseitige Rücksichtnahme und Zivilcourage ist. Ärzte und Passanten, die meisten mit Migrationshintergrund, bewiesen am Mittwoch unglaublichen Mut, als sie den Angreifer zu Boden brachten und Erste Hilfe leisteten.

„Ihr Einsatz zeigt, dass die Bereitschaft der Menschen zu helfen viel größer ist, als man es immer hört und liest“, kommentiert Sachsenheims Bürgermeister Holger Albrich treffend. Unsere bunte Gesellschaft und das Leben in der Region sind nicht so schlimm, wie es sich einige Facebook-User wünschen.