2014 war der einstige Freiburger Erzbischof vom Ministerpräsidenten geehrt worden. Jetzt ist auch Winfried Kretschmann über das Ausmaß der Vertuschung fassungslos.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Zu der Verleihung ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) damals eigens nach Freiburg gereist. Im Historischen Kaufhaus, direkt neben dem Münster, übergab er dem emeritierten Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch wenige Wochen nach dessen endgültigem Ausscheiden aus dem Amt die Staufermedaille des Landes. Zollitsch habe sich um die katholische Kirche und das Land Baden-Württemberg verdient gemacht, lobte Kretschmann damals. Und auch sein Verhalten im Missbrauchsskandal würdigte der Ministerpräsident. Zollitsch habe einen tief greifenden geistlichen Prozess angestoßen, der die Katholische Kirche wieder neu gesprächsfähig machen sollte.

 

Das war im September 2014. Jetzt hat Zollitsch in einem Brief seines Büros an das Staatsministerium angeboten, die Staufermedaille und auch alle anderen Landesauszeichnungen zurückzugeben. „Ich nehme dieses Angebot an“, wird der Ministerpräsident in einer knappen Erklärung zitiert, die das Staatsministerium am Freitag verbreitete. Der am Dienstag vorgestellte Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und Aktenanalyse“ hatte dem früheren Erzbischof beim Umgang mit sexuellen Missbrauch in seinem Bistum schwere Verfehlungen und Vertuschung nachgewiesen.

Der Ministerpräsident ist erschüttert

In seiner kurzen Erklärung vermied Kretschmann eine direkte Beurteilung von Zollitschs Verhalten und seiner Persönlichkeit. Allerdings schockierten ihn die Ergebnisse der Freiburger Missbrauchsstudie. „Sie machen mich fassungslos. Die Opfer des Missbrauchs waren diesem offensichtlichen Versagen der kirchlichen Strukturen über Jahre hilflos ausgesetzt“, sagte der Katholik Kretschmann laut dem Staatsministerium. „Das erschüttert mich. Der Prozess der Aufarbeitung muss mit aller Konsequenz und Nachdruck fortgeführt werden.“

Auch das Bundesverdienstkreuz, das Zollitsch ebenfalls im Jahr 2014 verliehen worden war, gab er inzwischen laut der Erklärung seines Sprechers zurück. Im Jahr 2018 hatte ihm der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) noch zum 80. Geburtstag gratuliert. Zollitsch habe gezeigt: „Glaube und Kirche leben durch die praktische Tat, durch Nächstenliebe“, hatte Steinmeier damals formuliert. Jetzt kam Zollitsch dem Vernehmen nach dem Entzug der Auszeichnung nur zuvor.

„Man hätte es wissen können“

Der Betroffenenbeirat hatte nach der Vorlage des Abschlussberichts gefordert, positive Darstellungen von Zollitschs Lebenswerks und das seines verstorbenen Vorgängers Oskar Saier künftig zu unterlassen. Für die Betroffenen sei die Tragweite der Erkenntnisse allerdings weder neu noch überraschend. „Das hätte man alles wissen können. Man hätte den Betroffenen nur zuhören und glauben müssen“, sagte die Betroffenen-Sprecherin Julia Sander.