Die Obama-Begeisterung ist verschwunden, das deutsch-amerikanische Verhältnis so ramponiert wie zu Zeiten von George W. Bush. In der Abhör-Affäre um Merkels Handy tun sich grundsätzliche Differenzen auf. Müssen die Beziehungen neu definiert werden?

Die Obama-Begeisterung ist verschwunden, das deutsch-amerikanische Verhältnis so ramponiert wie zu Zeiten von George W. Bush. In der Abhör-Affäre um Merkels Handy tun sich grundsätzliche Differenzen auf. Müssen die Beziehungen neu definiert werden?

 

Berlin - Von ihrer ersten Amerika-Reise schwärmt Angela Merkel bis heute. Gleich im Sommer 1990, der Fall der Mauer lag kaum ein halbes Jahr zurück, flog sie nach Kalifornien. Noch am selben Abend ging sie mit ihrem späteren Ehemann Joachim Sauer in San Diego an den Strand. „Niemals werden wir den ersten Blick auf den Pazifischen Ozean vergessen. Es war einfach grandios.“ Für Merkels Verhältnisse ist das richtig viel Gefühl. Das mag damit zusammenhängen, dass die USA für eine DDR-Bürgerin damals noch der große Sehnsuchtsort waren - wie für viele Westdeutsche übrigens auch.

Heute hat sich das geändert. Privat ist Merkel nach wie vor Amerika-Fan. Gern würde sie dort mal wieder einen längeren Urlaub verbringen - was für eine Kanzlerin, die auch in den Ferien ständig erreichbar sein muss, aber doch zu große Umstände machen würde. Beruflich allerdings hat sich das Verhältnis in letzter Zeit deutlich abgekühlt. Das hat mit der Abhör-Affäre um ihr Handy zu tun, das der US-Geheimdienst NSA vermutlich mehr als ein Jahrzehnt lang unter Beobachtung hatte. Aber nicht nur.

Zwischen Deutschen und Amerikanern hat sich einiges verändert

Zwischen Deutschen und Amerikanern hat sich in den letzten Jahren einiges verändert. Der große Mythos von der deutsch-amerikanischen Freundschaft - von der Auswanderungswelle im 19. Jahrhundert über Karl Mays „Winnetou“-Romane, die Rosinenbomber, John F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“-Rede, den Monaten der Wiedervereinigung bis hin zum ersten umjubelten Auftritt Barack Obamas an der Siegessäule - ist dahin.

Man kennt das von Paaren, die schon länger zusammen sind. Man hat sich aneinander gewöhnt. Man schätzt die Gemeinschaften nicht mehr so sehr. Man merkt, was einen am anderen nervt. Und die unterschiedlichen Interessen treten stärker hervor. Alles vielleicht ganz normal. Nur, dass man das bislang nicht so richtig wahrgenommen hat - und es jetzt mit den Bildern vom mutmaßlichen Abhör-„Nest“ auf dem Dach der US-Botschaft am Brandenburger Tor vor Augen geführt bekommt.

Das englische Wochenblatt „The Economist“ - ein einigermaßen neutraler Beobachter - analysiert den gegenwärtigen Zustand in seiner aktuellen Ausgabe so: „Deutschland verzagt an Amerika, seinem einstigen Vorbild, Beschützer und Mentor.“ Deutsche und Amerikaner seien „out of love“. Auf Deutsch würde man wohl sagen: Die Liebe ist abhandengekommen. Oder auch: eine enttäuschte Liebe.

Der Politologe Eberhard Sandschneider, einer der Beziehungsexperten für transatlantische Angelegenheiten, hält das für eine Entwicklung, die absehbar gewesen sei. „Wenn man nicht blind ist im Glauben an den grundsätzlichen Charakter der deutsch-amerikanischen Beziehungen, erkennt man, dass unterschwellig - in den Tiefenstrukturen - schon seit Jahren Veränderungen in Gange sind“, sagt der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Dazu gehört der Befund, dass Amerika schwächer und Deutschland stärker geworden ist. Die Vereinigten Staaten leiden sichtbar an ihrer Rolle als einzig verbliebener „Weltpolizist„. Eine Haushaltskrise haben sie gerade wieder nur vorübergehend überwunden. Die Bundesrepublik hingegen steht nach dem bisherigen Verlauf der Euro-Krise besser da als jeder andere. Auf wirtschaftlichem Gebiet ist der Einfluss enorm, in der Politik ist er gestiegen. Merkel wurde mehrfach zur „mächtigsten Politikerin der Welt“ gekürt - was auch immer sie selbst davon hält.

Neben den USA sind für Deutschland andere Staaten wichtiger geworden

Neben den USA sind für Deutschland andere Staaten wichtiger geworden. China zum Beispiel, Russland ebenfalls, aber auch Länder wie Indien oder Brasilien. Der DGAP-Chef meint umgekehrt auch, viele sähen Deutschland inzwischen in einer „Vormachtstellung“ in Europa. Erwartet werde, „was man auf Englisch „leadership“ nennt - oder auf Deutsch „Führung““. Sandschneider fügt hinzu: „Das hat auch Folgen für die transatlantischen Beziehungen. Die bisherige Zurückhaltung wird nicht richtig verstanden.“

Aber unabhängig davon: Vorbehaltlos standen Deutsche und Amerikaner zuletzt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zusammen. Damals zögerte die rot-grüne Bundesregierung nicht, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Seither gab es zahlreiche Zeichen der Entfremdung: Das „Water-Boarding“ von Terrorverdächtigen, das Lager Guantánamo, die Drohnen-Angriffe haben viele in Deutschland entsetzt.

Berlin wollte im Irak-Krieg nicht dabei sein, enthielt sich beim Libyen-Einsatz und machte auch schnell deutlich, dass man in der Debatte über ein Eingreifen in Syrien anderer Meinung war. Dafür mag es jedes Mal gute Gründe gegeben haben. Aber auf der anderen Seite des Atlantiks blieb als Eindruck von den Deutschen - nicht mit uns.

Nun ist es natürlich nicht so, dass zuvor alles ohne Probleme war. Mit dem einen oder anderen amerikanischen Präsidenten fremdelten die Deutschen sehr - vor allem, wenn sie wie Ronald Reagan oder die beiden Bushs von den Republikanern kamen. Vom jüngeren der Bushs, George W., hielt Merkel viel, was sie von der Mehrzahl ihrer Landsleute unterschied. Beim Nachfolger war es umgekehrt - die Obama-Begeisterung teilte sie nie.

Vor genau einem Jahr, als der Demokrat seine zweite Amtszeit bekam, hatte er in Deutschland Beliebtheitswerte wie nirgendwo sonst auf der Welt. Hätte Obama hier zur Wahl gestanden, wäre er nach den Umfragen auf mehr als 90 Prozent der Stimmen gekommen. Inzwischen ist die Stimmung gekippt. Heute glaubt mehr als die Hälfte der Deutschen nicht, dass Obama von der Abhöraktion gegen Merkel keine Ahnung hatte. Nur noch 43 Prozent sind mit ihm zufrieden. Nach dem neuesten ARD-„Deutschlandtrend“ ist das deutsch-amerikanische Verhältnis so ramponiert wie zu Bush-Zeiten.

Die Vorzeichen ließen sich schon im Frühsommer ausmachen, als Obama zum ersten Mal seit seinem Triumph-Trip 2008 wieder in Berlin zu Besuch war: Vor dem Brandenburger Tor, wo ihn die Kanzlerin dieses Mal reden ließ, blieben viele Plätze leer. Das lag nicht allein an der brütenden Hitze. Die Rede war, gemessen an den Erwartungen, eine arge Enttäuschung.

Deutsche Empörung über Abhöraktion verstehen viele Amerikaner nicht

Und jetzt also das „Handygate“. Allein schon mit dem Begriff können die Amerikaner überhaupt nichts anfangen - bis heute lachen sie darüber, wie in Deutschland aus dem Mobiltelefon das pseudo-englische „Handy“ werden konnte. In den USA heißt das „Cell Phone“ - allenfalls wäre der Abhörskandal also ein „Cellgate“. Aber von Vergleichen zum Watergate-Skandal, der Präsident Richard Nixon 1974 zum Rücktritt zwang, will dort ohnehin kaum jemand etwas wissen.

Die deutsche Empörung über die Abhöraktion verstehen viele bis heute nicht. Der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt für die meisten Amerikaner auch solche Mittel - auch gegen Politiker einer befreundeten Nation. Die deutlichen Worte der Kanzlerin („Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht“) nach ihrem Telefonat mit Obama bedeuteten für den Großteil des US-Politbetriebs eine derbe Überraschung.

Umso zufriedener ist Washington nun damit, dass der nach Russland geflüchtete NSA-Enthüller Edward Snowden in Deutschland kein Asyl bekommen soll - das hätte für die Amerikaner einen Affront bedeutet. Inzwischen stellte die Kanzlerin aber klar: „Das transatlantische Bündnis bleibt für uns Deutsche von überragender Bedeutung.“

Heißt: Für eine große Debatte über eine Neuordnung der Beziehungen sieht Merkel keinen Anlass. Die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen sollen weiterlaufen wie geplant. Zusätzlich soll es aber neue Regeln für die Zusammenarbeit der Geheimdienste geben - und das Versprechen, dass die Bundesregierung von Washington nicht mehr bespitzelt wird. Mehr ist möglicherweise auch nicht drin.

Merkels mutmaßlicher künftiger Koalitionspartner SPD sieht das ähnlich. Im außenpolitischen Teil für den Koalitionsvertrag, auf den sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und der mögliche Bald-Wieder-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) schon geeinigt haben, heißt es: „Auch im 21. Jahrhundert gibt es keine besseren Partner füreinander als Amerika und Europa.“

Auf die NSA-Affäre gehen Union und SPD in dem Papier bislang nur mit den Worten ein: „Dort, wo in jüngster Zeit Vertrauen infrage gestellt wurde, muss es wiederhergestellt werden.“ Allerdings behalten sich Union und SPD bis zum Ende der Koalitionsverhandlungen in diesem Punkt noch Änderungen vor. Denn eines haben die Deutschen seit Beginn der Enthüllungen gelernt: Man weiß nie, was von der NSA noch kommt.