Die Geschicke bei VW lenkte jahrelang das Duo Piëch und Winterkorn. Doch das Vertrauen zwischen den beiden ist erschüttert. Bei Europas größtem Autobauer könnte es zu einer lähmenden Schwere kommen, die das Tagesgeschäft wochenlang überschattet.

Wolfsburg - Bei Volkswagen droht ein erbitterter Machtkampf um die Führungsspitze. Dabei geht es um die Zukunft von Vorstandschef Martin Winterkorn, nachdem Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch von seinem langjährigen Wegbegleiter abgerückt war. Winterkorn aber will sich von Piëch nicht vom Hof jagen lassen, wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aus dem Unternehmen erfuhr. So schnell werfe er den Bettel nicht hin, hieß es. Zuvor hatten sich VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hinter Winterkorn gestellt. Beide sitzen im VW-Aufsichtsrat.

 

Dort bräuchte es rein rechtlich eine Mehrheit von elf aus zwanzig Stimmen, um Winterkorn abzusetzen. Zwar könnte Piëch als Vorsitzender von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machen. Er müsste aber auch noch die weiteren Mitglieder der Familien Porsche und Piëch auf der Arbeitgeberbank und das Land Niedersachsen auf seine Seite ziehen.

Piëch (77) war völlig überraschend öffentlich von Winterkorn abgerückt. Er sagte dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Dies kommt einer Demontage Winterkorns (67) gleich. Der VW-Aufsichtsratschef sagte außerdem: „Ich strebe an, dass an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen.“ Die Kandidaten dafür seien bereits im Unternehmen.

Der einflussreiche VW-Betriebsratschef Osterloh stärkte Winterkorn den Rücken: „Wir haben eine klare Haltung, an der sich nichts geändert hat: Wir haben mit Dr. Winterkorn den erfolgreichsten Automobilmanager an Bord.“ Der Betriebsrat mache eine Personaldebatte nicht mit. Niedersachsens Regierungschef Weil sagte: „Ich halte eine öffentliche Diskussion über die Spitzen von VW für schädlich.“ Aus Kreisen des oberen VW-Managements verlautete am Wochenende: „Die Erfolgsgeschichte mit Herrn Winterkorn wird fortgeschrieben werden.“

Winterkorns Vertrag läuft Ende nächsten Jahres aus. Konzerninsider hatten zuletzt übereinstimmend berichtet, dass Winterkorn Piëch im Kontrollgremium ablösen dürfte. Nur der Zeitpunkt schien unklar. So ließ es auch Winterkorn zuletzt offen, ob für ihn eine Vertragsverlängerung infrage komme. Die „Spiegel“-Darstellung kommt einem Erdbeben bei Volkswagen gleich. Piëch hatte die Konzernspitze vor Winterkorn selber geführt, zu dem er jahrzehntelang ein großes Vertrauensverhältnis besaß. Die Familien Porsche und Piëch haben die Stimmenmehrheit bei Volkswagen. Ohne Piëch, das ist Konsens, fällt keine zentrale Entscheidung bei VW.

Der „Spiegel“ führt für die Verstimmung zwischen Winterkorn und Piëch auch die großen strategischen Probleme an, vor denen Volkswagen allem Erfolg zum Trotz seit Jahren steht. Die Gewinnkraft der Kernmarke VW-Pkw hinkt der Konkurrenz beständig hinterher. Daher greift seit vergangenen Sommer ein milliardenschwerer Sparplan. Im Juli gibt Winterkorn das Amt als VW-Markenchef, das er in Personalunion mit dem Konzernvorstand führt, an den früheren BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess ab.

In den USA fehlen zudem die richtigen Modelle, so dass VW seit Jahren in einem wachsenden Markt - dem nach China zweitgrößten der Welt - Anteile verliert. Und das schon vor Jahren angekündigte Budget-Car, mit dem der Konzern in die jungen Schwellenländer vorstoßen will, ist noch immer nicht da. In Summe werden diese Probleme verdeckt durch den insgesamt seit Jahren laufenden Rekordkurs des Konzerns, der sich mit großem Tempo bei Absatz, Umsatz und Gewinn verbessert. Der Rivale General Motors (GM) ist schon überholt. Nur noch Toyota liegt vorne.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen bezeichnete Winterkorn nach den Äußerungen Piëchs als „lame duck“ (lahme Ente). „Das weiß jetzt auch der Pförtner bei VW. Von daher wäre es für Winterkorn besser, er würde sich nicht in den nächsten Monaten selbst beschädigen, sondern zurücktreten“, sagte Dudenhöffer der dpa. Er nannte etwa die hartnäckigen Probleme auf dem US-Markt und die Renditeschwäche der Marke VW als Gründe für Piëchs Vorgehen.