Wissenschaftler mahnen ein Umsteuern der deutschen Politik im Sahel an. Raus aus Frankreichs Kielwasser, lautet eine ihrer Forderungen. Danach sieht es aber nicht aus.
Der Sahel-Ausschuss der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland fordert ein grundsätzliches Umsteuern der deutschen Politik in Westafrika. In einem Schreiben an Abgeordnete der Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und für Entwicklungszusammenarbeit, das unserer Zeitung vorliegt, raten die Experten dringend „aus dem Kielwasser der französischen Afrikapolitik auszuscheren“. Die Bundesregierung lasse allerdings keine Bemühungen dazu erkennen, so ihre Kritik.
Bloß „Fassadendemokratie“?
In dem Papier heißt es weiter: „Es gib einen Epochenbruch in der westlichen Zusammenarbeit mit Westafrika, denn der Putsch im Niger hat endgültig demonstriert: Fassadendemokratien sind ebenso problematische Partner wie Militärregierungen. Die einen gegen die anderen zu verteidigen, führt zu nichts.“
Nachbarn drohen mit Krieg
Zuletzt hatten sich die Afrikanische Union und Frankreich hinter Pläne des westafrikanischen Staatenbundes Ecowas gestellt, in Niger militärisch einzugreifen. Die Drohung richtet sich gegen die Militärregierung des Landes, die am 26. Juli Präsident Mohamed Bazoum gestürzt hat.
Die deutschen Wissenschaftler warnen ausdrücklich vor einer weiteren Verschärfung der Sanktionen gegen Niger, eines der ärmsten Länder der Welt: „Obwohl der Putsch klar abzulehnen ist, darf es auf deutscher Seite keine Unterstützung für eine Militärintervention und schwere Wirtschaftssanktionen durch die Ecowas geben.“ Schlecht funktionierende staatliche Institutionen hätten in Burkina Faso, Mali und Niger eine Kettenreaktion ausgelöst, zu deren Ergebnissen Putsch und Militärregierungen gehören. Das könne sich „jederzeit“ in den Nachbarländern dieser Staaten fortsetzen.
Appelle verhallten ungehört
Der Mainzer Afrikawissenschaftler Helmut Asche, Mitglied des Sahel-Ausschusses, bezeichnete die Entwicklung im Niger als „Quittung für die deutsche Afrika-Politik.“ Er hatte bereits 2020 davor gewarnt. Damals richtete er mit mehreren Kollegen den Appell an Bundestag und -regierung: „Der drohende Staatszerfall in Mali und Burkina Faso lässt eine simple Fortführung oder Verstärkung des deutschen Beitrags an der Seite der französischen Armee unter sonst gleichen Umständen als politisch ausgeschlossen erscheinen.“
Enge Verbindungen zur Bundeswehr
Deutsche Kampfschwimmer haben von 2018 bis 2022 nigrische Spezialkräfte ausgebildet. Der nicht zuletzt mit deutschen Steuermitteln ausgebaute Flughafen der nigrischen Hauptstadt Niamey war bis zum Putsch Drehkreuz für die Bundeswehr-Einsätze aus dem benachbarten Mali. Das Oberkommando der US-Streitkräfte für Afrika in Stuttgart (Africom) unterhält eine in Teilen von US-Soldaten errichtete Basis für unbemannte Flugzeuge im nigrischen Agadez (Air Base 201).
„Epizentrum des Terrorismus“
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) versicherte, ungeachtet der Aussetzung von Entwicklungshilfe für Niger werde Deutschland die Region weiter unterstützen. Das Engagement bleibe wichtig, denn der Sahel sei „ein Epizentrum des Terrorismus“, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.