Heftige Schelte nach der großen Demonstration der selbst ernannten Querdenker auf dem Cannstatter Wasen: Die Grünen in Stadt und Land sowie das Linksbündnis im Gemeinderat fordern Aufklärung darüber, warum die Veranstaltung nicht verboten wurde. Innenminister Thomas Strobl (CDU) will „die richtigen Schlüsse ziehen“.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Das Demogeschehen mit einem großen Aufzug der „Querdenker“ zum Wasen hat viele Reaktionen hervorgerufen. Es überwiegt bei den Politikern das Unverständnis – für das Handeln der Teilnehmenden, aber auch für die Position der Stadt und das Vorgehen der Polizei.

 

Martin Körner steht mit seiner Meinung einsam da. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat schreibt am Sonntag auf Facebook: „Schwer tue ich mich mit den schnellen Schuldzuweisungen in Richtung Stadt und Polizei. Im letzten Jahr habe ich zumindest schmerzhaft lernen müssen, dass es auch in Corona-Zeiten nicht so einfach ist, eine Demo zu verbieten. Und, wenn die Demo einmal läuft, ist die Auflösung einer Versammlung von 10 000 Menschen durch die Polizei auch nicht ohne.“ Gleichwohl verurteilt Körner das Verhalten der Demonstrierenden.

Linksbündnis spricht von falscher Strategie und falschen Entscheidungen

Sein Ratskollege Luigi Pantisano (Linksbündnis) entgegnet umgehend: „Damit machst Du es den Verantwortlichen der Stadt und bei der Polizei aber sehr einfach. Sorry, aber sie tragen die Verantwortung dafür, die Menschen vor dieser Pandemie zu schützen. Sie können wenn sie wollen, aber sie wollten nicht.“

Pantisano unterstützt die Forderung der Kreis-SPD nach einem Rücktritt des Ordnungsbürgermeisters Clemens Maier (Freie Wähler), der erst seit November im Amt ist. Pantisano versteht nicht, warum Maier die Entscheidung, es nicht versucht zu haben, ein Verbot zu verfügen, noch verteidigt. „Das Mindeste wäre jetzt eine Entschuldigung für die völlig verfehlte Strategie und die falschen Entscheidungen, die zu einer Gefährdung der Stuttgarter Bevölkerung geführt haben“, so der Stadtrat. Außerdem müssten die ganze Vorbereitung und die Entscheidungen, die zu der falschen Strategie geführt hätten, aufgeklärt werden.

Für Aufklärung sprechen sich auch die Grünen aus, im Landtag und im Rathaus. Für die Landtagsfraktion meint Ulrich Sckerl: „Es braucht eine lückenlose Aufklärung darüber, wie es zu den massenhaften Verstößen gegen die Corona-Auflagen bei der Stuttgarter Demonstration kommen konnte. Wir erwarten Antworten darauf, warum zum Beispiel die Versammlungsbehörde der Stadt Stuttgart den Empfehlungen des Sozialministeriums in den Tagen zuvor nicht gefolgt ist.“ Dessen Amtschef, Ministerialdirektor Uwe Lahl, hatte sich am Donnerstag zu Wort gemeldet und betont, ein Verbot sei sehr wohl möglich. Ordnungsbürgermeister Maier hatte in einem Interview mit unserer Zeitung dagegen gesagt: „Wir können sie nicht verhindern.“ Sckerl möchte erreichen, dass sich der Innenausschuss des Landtages in einer Sondersitzung mit der Lage am Samstag befasst. Diese Forderung erhebt auch der FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer. Die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat fordern einen Bericht in öffentlicher Gemeinderatssitzung mit Stellungnahmen von Nopper, Maier und der Polizei – auch zu Maßnahmen, mit denen derlei Demonstrationen künftig verhindert werden könnten.

Innenminister Strobl: So ein Samstag darf sich nicht wiederholen

Der Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident Thomas Strobl (CDU) sagte am Montag, dass zwar die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut sei. Aber er fügte hinzu: „Für mich ist klar: Auch die Demonstrationsfreiheit verlangt verantwortungsvolle Bürger. Unsere Grundrechte sind nicht grenzenlos und rechtfertigen nicht jedes verantwortungslose Verhalten – schon gar nicht die Gefährdung der Gesundheit und des Lebens anderer Menschen“ Er will klären lassen, ob solche Veranstaltungen in Zeiten der Pandemie erlaubt werden müssten, wenn im Vorfeld schon klar sei, dass Auflagen nicht eingehalten werden. Strobl verspricht: „Die Vorfälle vom Samstag werden selbstverständlich konsequent aufgearbeitet – und dann werden die richtigen Schlüsse gezogen. Aus meiner Sicht jedenfalls darf sich der Stuttgarter Karsamstag so nicht wiederholen.“ Der Innenminister verurteilt auch die Angriffe auf Journalisten, die am Samstag am Rande der „Querdenker“-Demo passiert sind.

Ähnlich wie Strobl argumentiert auch Sckerl: „Außer Frage steht: Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist auch in Pandemiezeiten ein hohes Gut. Der Missbrauch des Grundrechts genießt aber keinen Schutz. Gerade deshalb müssen wir uns auf rechtsstaatliche Wege verständigen, die verhindern, dass sich solche Vorkommnisse wiederholen.“