Das Landgericht Stuttgart hat einen 39 Jahre alten Mann in einem Revisionsverfahren vom Vorwurf des sexuellen Kindesmissbrauchs freigesprochen – trotz Zweifel an der Unschuld.
Neues Urteil gegen einen 39-Jährigen: Die 17. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts hat einen Mann aus dem Landkreis Göppingen am Mittwochnachmittag aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten gefordert. Die Verteidiger des Mannes hatten auf Freispruch plädiert. Der Mann war bereits im Jahr 2022 von einer anderen Kammer des Landgerichts zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Dieses Urteil wurde nicht rechtskräftig, nachdem die Revision des 39-Jährigen erfolgreich war und der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben hatte. Bemängelt wurde unter anderem die unzureichende Begründung des damaligen Urteils. Der Angeklagte wurde nicht in Haft genommen, seit Mitte März wurde neu verhandelt.
Mann soll sich als Gynäkologe ausgegeben haben
In der Anklageschrift wurde dem Mann vorgeworfen, zwischen 2007 und 2011 die Schwester seiner damaligen Lebensgefährtin mehrfach schwer sexuell missbraucht zu haben. Das Mädchen war damals zwischen sieben und elf Jahre alt. Die Übergriffe sollen unter anderem in Schwimmbädern in Nürtingen und Wendlingen, in einer Wohnung in Köngen sowie in Proberäumen und auf einem Gartengrundstück im Kreis Esslingen stattgefunden haben. Unter anderem soll er sich gegenüber dem Mädchen als Frauenarzt ausgegeben und die Übergriffe als angebliche Untersuchungen getarnt haben. Der Mann hatte die Missbrauchsvorwürfe stets bestritten. Im Zuge der Ermittlungen waren bei ihm gynäkologische Instrumente gefunden worden. Er räumte eine Vorliebe für Doktorspiele ein, die er aber nur mit Einverständnis seiner erwachsenen Partnerinnen ausgelebt habe.
Gutachten zur Glaubwürdigkeit des Opfers
In dem neuen Verfahren stand erneut Aussage gegen Aussage. Erschwerend kam dazu, dass die 25-jährige Geschädigte psychisch so krank ist, dass sie nicht als Zeugin vor Gericht erscheinen konnte und sich auch nicht mehr psychiatrisch untersuchen lassen wollte. „Wir haben keinen, der konkret etwas mitbekommen oder gesehen hat“, sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung, wenngleich die Vorwürfe nicht völlig aus der Luft gegriffen gewesen seien. Es gebe erhebliche Risiken für „Scheinerinnerungen der Geschädigten, die nicht zuletzt auf ihre Erkrankung zurückzuführen seien. „Wir sind überzeugt, dass sie keine bewusste Lügnerin ist“, hob die Richterin hervor. „Die Kammer ist von der Unschuld nicht überzeugt“, sagte sie mit Blick auf den 39-Jährigen, „aber im Zweifel für den Angeklagten“.
Aussagen des Opfers als im Kern glaubhaft bewertet
Bereits im ersten Prozess und auch jetzt wieder hatten die Verteidiger des Angeklagten die Glaubwürdigkeit des schwer traumatisierten Opfers angezweifelt. Eine forensische Psychologin war im Wiederaufnahmeverfahren zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aussagen des Opfers im Kern glaubhaft seien, vieles aber auch dazu fabuliert wurde.
Kuriose Wende im Prozess: Staatsanwalt wird Zeuge
Der Prozess hatte eine kuriose Verlängerung erfahren, als Mitte April das Plädoyer des Staatsanwalts Jan Savas unterbrochen und er als Zeuge geladen wurde. Er hatte bereits vor drei Jahren am Prozess teilgenommen, war jetzt aber nur für einen Termin für eine verhinderte Kollegin eingesprungen. Dass er sich auch auf seine persönlichen Eindrücke aus dem ersten Prozess bezog, ging der Vorsitzenden Richterin Jasmin Neher-Klein zu weit und ließ sie dazwischengehen.