Der 34-Jährige, der bei einem Schusswechsel mit der Polizei schwer verletzt worden ist, ist außer Lebensgefahr. Der Mann hatte es offenbar darauf angelegt, von den Beamten erschossen zu werden. In den USA ist dieses Phänomen als „Suicide by Cop“ bekannt.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Wieder hat die Polizei mitten in der Nacht auf einen Mann geschossen. Und wieder deutet alles darauf hin, dass der Verletzte es darauf angelegt hatte, von den Kugeln der Beamten getroffen zu werden. Der Zwischenfall, der sich in der Nacht zum Mittwoch am Untertürkheimer Bahnhof ereignete, erinnert auf erschreckende Weise an den Schusswechsel, bei dem im Jahr 2013 im Stuttgarter Osten ein Mann ums Leben kam. „Suicide by Cop“ nennen die Amerikaner dieses Phänomen: Selbstmord durch die Waffe eines Polizisten. Die Polizei ging am Mittwoch davon aus, dass sie es mit dem zweiten Fall dieser Art in der Stadt zu tun gehabt hat. Der 34-jährige Mann erlitt schwere Verletzungen im Bauch. Er wurde operiert und ist außer Lebensgefahr.

 

Der Anruf erreichte die Notrufzentrale am Mittwoch um 3.17 Uhr. Ein Mann am anderen Ende habe aufgeregt ins Telefon gerufen: „Der Nächste, der kommt, den lege ich um!“ Die Polizei schickte sofort mehrere Streifenwagen zum Untertürkheimer Bahnhof und verständigte den Rettungsdienst. Die Beamten, die zuerst da waren, sahen den 34-Jährigen, der den Anschein erweckte, dass er die Drohung wahr machen würde: Mit einer Schusswaffe in der Hand ging er auf die Beamten los. Die Pistole habe auf die Beamten täuschend echt gewirkt, sagt der Polizeisprecher Stefan Keilbach. Bis hin zur Beschriftung, die eingeprägt sei, sei die Softair-Pistole einer scharfen Waffe nachempfunden gewesen.

Eine Zeugin sucht Schutz in ihrem Laden

„Der Mann hat die Beamten sofort bedroht, als sie ankamen“, so der Pressesprecher weiter. Die Beamten hätten schließlich mehrfach auf den Mann gezielt, der ebenfalls Schüsse abgab. „In so einem Fall muss die Polizei den Angreifer stoppen“, erläutert Keilbach. Deswegen hätten die Polizisten geschossen. Als der Täter getroffen war, hätten sich die Beamten und der wenig später eingetroffene Rettungsdienst um ihn gekümmert, er wurde dann in ein Krankenhaus gebracht und notoperiert. Auf dem Weg ins Krankenhaus machte der Mann gegenüber den Rettungskräften und einem Polizeibeamten, der mitfuhr, eine Bemerkung: „Lasst mich doch sterben“, soll er sinngemäß gesagt haben. Zusammen mit seinem Verhalten und der Ankündigung über die Notrufnummer folgert die Polizei, dass der Mann sich offenbar erschießen lassen wollte. Er habe sich so verhalten, dass die Beamten schießen würden – und die Polizei zuvor selbst gerufen. Der 34-Jährige war polizeibekannt. Er wurde schon wegen des Missbrauchs von Notrufen belangt. Auf seinem Facebook-Profil zeigte er sich in Armeekleidung.

Eine Zeugin sah in der Nacht den Beginn der Auseinandersetzung. Sie war in der Unterführung und wollte den Kiosk dort aufschließen. Als die ersten Schüsse fielen, suchte sie Schutz im Laden. Am Morgen beobachteten viele Passanten, wie die Polizei die Spuren am Tatort sicherte. Zahlreiche Patronenhülsen lagen auf dem Boden – wie viele Schüsse genau abgegeben wurden, war noch unklar. Auch fanden die Ermittler Spuren von Farbkugeln aus der Softair-Pistole von den Schüssen, die der 34-Jährige abgegeben hatte, als die Beamten durch die Unterführung vom Bahnhof her auf ihn zukamen. „Warum macht die Polizei das, wenn der sich umbringen will?“, fragte eine Frau. „Was würden Sie machen, wenn einer mit einer Pistole vor Ihnen steht?“, entgegnete ein anderer Beobachter.

Paralleln zu einem Fall im November 2013

Der Fall hat viele Parallelen zu jenem, der sich im November 2013 im Osten zugetragen hatte. Damals rief ein 36-jähriger Mann, der in der Landhausstraße wohnte, die Polizei und kündigte an, er würde nach draußen gehen und herumschießen. Die Polizei versuchte, ihn zum Aufgeben zu überreden, als er mit einer Waffe auf sie zukam. Da er nicht stoppte, griff auch damals ein Beamter zur Pistole und gab einen Schuss ab. Er zielte auf das Bein, traf aber den Bauch, weil der Mann weiter auf ihn zugegangen war. Das ergab die Untersuchung der Staatsanwaltschaft. Die Behörde hatte gegen den Polizisten wegen fahrlässiger Tötung im Amt ermittelt. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Beamte sich richtig verhalten hatte. Der 36-Jährige starb im Krankenhaus an den Folgen der Verletzung. Auch der aktuelle Fall wird von der Staatsanwaltschaft untersucht.