Jan Ullrich war ein Superstar des Sports. Nun ist der Tour-de-France-Sieger des Jahres 1997 nach seinem obskuren Streit mit Til Schweiger und der Festnahme in Frankfurt am Boden angekommen. Wie konnte es so weit kommen?

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Mallorca - Die Nacht in der mallorquinischen Zelle war fürchterlich. Zumindest sagt Jan Ullrich das über die Stunden hinter Gittern, nachdem er auf dem Grundstück seines Nachbarn Til Schweiger mit einem Besenstiel randaliert haben soll und offenbar unter Drogeneinfluss festgenommen wurde: „Ich musste alles bis auf die Hose ausziehen. Überall Kot und Urin auf dem Boden und an den Wänden. Ich habe Platzangst bekommen, konnte nicht schlafen. Es war eine der härtesten Prüfungen meines Lebens“, sagte er der „Bild“. Doch die folgt vielleicht erst noch. Der Boulevard zitiert angebliche Freunde, die ein erschütterndes Bild zeichnen: von Alkohol, Drogen, Exzessen. Dazu private Probleme; die Trennung von seiner Frau Sara vor einigen Monaten, die mit den Kindern wieder in Deutschland lebt.

 

Ullrich, so scheint es, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Dazu passt die neueste Eskalation in seinem Leben: Am Freitag ist er in einem Luxushotel in Frankfurt festgenommen worden, er soll eine Prostituierte gewürgt haben. „Es soll zum Streit und zu einem körperlichen Angriff auf eine Frau gekommen sein. Hierbei soll der Beschuldigte sie gewürgt haben, bis ihr schwarz vor Augen wurde“, teilte die Staatsanwaltschaft über den derzeitigen Ermittlungsstand mit. Der Vorfall hatte sich in einem Nobelhotel im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen zugetragen. Dort hatte sich Ullrich mit der Prostituierten getroffen, dabei sei es zum Streit gekommen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sehe die Staatsanwaltschaft „keinen dringenden Tatverdacht wegen versuchten Totschlags, so dass aktuell kein Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt wird“, hieß es in der Stellungnahme von Oberstaatsanwältin Nadja Niesen weiter. Inhaftiert wird Ullrich offenbar nicht.

Jan Ullrich (44) ist am Boden.

Sein Ex-Manager Wolfgang Strohband sagte schon nach dem Vorfall auf Mallorca: „Er muss sich langsam fangen und im normalen Leben zurechtkommen.“

Plötzlich schlug ihm Verachtung entgegen

Aber Jan Ullrichs Leben war doch nie normal. Sein Aufstieg wie auch sein Niedergang waren atemberaubend und sind einzigartig in der deutschen Sportgeschichte.

Es war 1997, als der junge Bursche mit den Sommersprossen Deutschland verzauberte. Bei der Tour de France, dem härtesten Radrennen der Welt, siegte Jan „Ulle“ Ullrich in jenem Sommer als erster Deutscher; die Nation verliebte sich in diesen sympathischen Jungen mit latentem Hang zum Übergewicht. „Le Kaiser“, wie ihn die Franzosen nannten, war fortan der Liebling der Boulevardmedien und des Publikums. Jahr für Jahr litt das Sportvolk mit ihm, wenn er mal wieder verzweifelt gegen Winterspeck ankämpfte. Er war nie perfekt, einer wie du und ich, nur eben eine Jahrhundertbegabung auf dem Rad mit dem von Gott geschaffenen, einzigartigen Körper für Radsport – aber nicht mit der nötigen Disziplin.

Er war kein Asket wie sein ewiger Rivale Lance Armstrong mit dem obsessiven Drang nach Erfolg, Ulle war auch mit zweiten Plätzen zufrieden. Warum auch nicht? Jan Ullrich genoss lieber die Freuden des Lebens, den badischen Wein und das gesellige Beisammensein mochte er schon immer etwas zu sehr. Die Fans verziehen dem Burschen aber seinen Lebenswandel und all seine Sünden, von umgefahrenen Fahrradständern in Freiburg bis zum Konsum dubioser Pillen in Discos. Doping war in Deutschland in jenen Jahren immer das Doping der anderen, viele wollten lange nicht wahrhaben, dass auch „unser Ulle“ ein Betrüger sein könnte. 2006 wurde er in die Dopingaffäre Fuentes verwickelt, der Rauswurf aus der Tour und aus dem Telekom-Rennstall folgten.

Der Absturz begann, plötzlich schlug ihm Verachtung entgegen. Und vielleicht konnte diese Achterbahnfahrt des Lebens nicht gut gehen. Am 26. Februar 2007 beendete Ullrich offiziell seine Karriere. „Ich kann mit Stolz behaupten, in meiner Karriere nie betrogen und niemanden geschädigt zu haben. Das ist ganz groß“, sagte er damals. Es dauerte viel zu lange, bis 2013, ehe Ullrich erstmals explizit zugab, was längst bewiesen war: dass auch er gedopt hatte.

„Aus Liebe zu meinen Kindern mache ich jetzt eine Therapie“

Er hatte zu seiner aktiven Zeit immer Menschen um sich, die sein Leben organisierten, seinen persönlichen Betreuer Rudy Pevenage etwa oder seinen Manager Wolfgang Strohband. 50 Millionen Euro soll er in seiner Karriere verdient haben, aber er hatte nie einen Plan B für danach. Als er über Nacht fiel, wurde es einsam um ihn, leer im Leben. „In den schwierigen Zeiten merkt man dann, wer ein wahrer und ehrlicher Freund ist“, hat er einmal gesagt. Viele befürchteten schon damals, dass das alles ein böses Ende nehmen könnte.

Am wohlsten fühlte er sich nach der Karriere immer unter seinesgleichen: unter Radfahrern – dort, wo sich niemand für Doping interessierte und er einfach der nette Ulle war, die Radlegende, nicht der Sünder. Bei Charity-Rennen wie in Weil der Stadt und Ditzingen, wo er für den guten Zweck oft radelte, war er ein gern gesehener Gast. „Ich stehe jeden Morgen auf und versuche, den Tag zu genießen, versuche, ein guter Mensch zu sein“, hat Ullrich dort gesagt. Aber eine richtige Aufgabe fand er nie. Er hat sich verändert, erzählen nun Freunde. Nicht zum Guten. Der „Bild“ hat Ullrich gesagt: „Aus Liebe zu meinen Kindern mache ich jetzt eine Therapie.“

Auf dem Weg dahin wurde er nun in Frankfurt festgenommen.