Eine Demonstration nach dem Tod eines Mannes beim Chemnitzer Stadtfest mündet in Angriffen auf Ausländer. Eine weitere Eskalation will Sachsen verhindern. Die Situation bleibt angespannt.

Chemnitz - Nach Attacken gewaltbereiter Rechter auf Ausländer in Chemnitz hat Sachsen ein entschiedenes Durchgreifen angekündigt. Innenminister Roland Wöller (CDU) bezeichnete die Geschehnisse vom Sonntag als „neue Dimension der Eskalation“. Man werde Gewaltbereiten und Chaoten nicht die Straße überlassen, sondern den Rechtsstaat durchsetzen, sagte er am Montag in Chemnitz. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach in Berlin vor einer „Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens“.

 

Am Montagabend gab es in der sächsischen Stadt eine weitere Demonstration und Gegenprotest. Die Polizei hielt Hunderte Teilnehmer mit einem Großaufgebot auseinander. Die Oberbürgermeisterin von Chemnitz, Barbara Ludwig (SPD), rief zur Besonnenheit auf.

Zwei Männer sollen auf 35-Jährigen eingestochen haben

Am Sonntag hatte eine spontane Demonstration nach dem Tod eines Mannes beim Chemnitzer Stadtfest in Angriffen auf Migranten gemündet. Wegen des tödlichen Angriffs auf den 35 Jahre alten Deutschen wurden am Montag Haftbefehle gegen einen Syrer und einen Iraker erlassen. Die 23 und 22 Jahre alten Männer sollen nach einem Streit in der Nacht zum Sonntag mehrfach „ohne rechtfertigenden Grund“ auf das Opfer eingestochen haben, teilte die Staatsanwaltschaft Chemnitz mit. Laut Polizei ist mit dieser Formulierung vor allem Notwehr gemeint. Im konkreten Fall hat sie demnach nicht vorgelegen. Zwei weitere Männer wurden schwer verletzt. Das Tatmotiv war unklar.

Der sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl zog am Montag die Ermittlungen an sich und beauftragte die Sondereinheit „Zentralstelle Extremismus Sachsen“ (ZESA). „Wir wollen die Ermittlungen konzentriert und beschleunigt führen, damit die mutmaßlichen Täter schnellstmöglich vor Gericht gestellt werden können“, sagte Strobl.

Sehen Sie im Video die Ereignisse während der Demonstration am Sonntag:

Demonstranten werfen Flaschen und Steine

Nach Angaben der Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel versammelten sich im Laufe des Sonntags rund 800 Demonstranten in Chemnitz. Darunter seien 50 Gewaltbereite gewesen, die auch den Ton angegeben hätten. Polizisten seien mit Flaschen und Steinen beworfen worden. Videos im Internet zeigten, wie Migranten angegriffen und „regelrecht gejagt“ wurden. Drei Geschädigte, ein 18 Jahre alter Afghane und seine deutsche Freundin, ein Syrer (18) und ein Bulgare (30), die vom Mob bedroht und geschlagen worden sein sollen, hätten bislang Anzeige erstattet.

Politiker aus Bund und Land verurteilten die Eskalation scharf. „In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus“, sagte Seibert in Berlin. „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz, und das kann ich für die Bundesregierung sagen, dass wir das auf das Schärfste verurteilen.“

Rechtsextreme Hooligans an Demo beteiligt

Auch der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) verurteilte Hetze und Selbstjustiz. „Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen. Wir lassen nicht zu, dass das Bild unseres Landes durch Chaoten beschädigt wird“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Sachsens Innenminister Wöller mahnte, die Ermittlungen der Polizei zum gewaltsamen Tod des 35-Jährigen abzuwarten. „Wir haben Spekulationen, wie haben Mutmaßungen, wir haben Falschmeldungen und regelrechte Lügen im Netz.“ Auch das sei nicht akzeptabel.

Die Polizei rief Zeugen der Vorfälle dazu auf, eventuell noch vorhandene Videos den Behörden zur Auswertung zu übergeben. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) kritisierte: „Selbstjustiz, Mutmaßungen und Gerüchtemacherei sind nach der tödlichen Messerattacke fehl am Platz.“

Laut Verfassungsschutz waren an der Demo am Sonntag rechtsextreme Hooligans beteiligt. „Besonders aktiv und auch am aktuellen Demo-Geschehen beteiligt ist die rechtsextremistische Hooligangruppierung Kaotic aus dem Umfeld des Regionalligisten Chemnitzer FC, die ebenfalls wie die gleichfalls rechtsextremistische Gruppierung NS-Boys („New Society Boys“) mit ihren Aktivitäten zum Anziehungspunkt für Angehörige von neonationalsozialistischen Strukturen und subkulturellen Gruppierungen geworden ist“, sagte ein Sprecher der Behörde der dpa. Man habe wiederholt auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die von diesem Personenkreis ausgehe.

Polizei sieht sich gut vorbereitet

Für die Demonstrationen am Montagabend waren auf jeder Seite etwa 1000 Teilnehmer erwartet worden. Die Polizei, die sich Vorwürfen ausgesetzt sieht, am Sonntag zu langsam reagiert zu haben, gab sich im Vorfeld gut vorbereitet. Es seien ausreichend Kräfte angefordert worden, sagte Polizeipräsidentin Penzel. Es werde nicht zugelassen, dass Chaoten die Stadt vereinnahmen.