Nach den Krawallen am Stuttgarter Schlossplatz vergangenes Wochenende haben Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl und Finanzminister Danyal Bayaz der Polizei in der City einen Überraschungsbesuch abgestattet.

Stuttgart - Es ist noch zu früh und zu hell für Krawalle in Stuttgart. Als sich die Politpromis Thomas Strobl (CDU) und Danyal Bayaz (Grüne) gegen 21.00 Uhr am Abend vor dem Feiertag vom Landtag aus auf den Weg machen, um das Partyvolk auf dem Schlossplatz in Augenschein zu nehmen, ist alles friedlich. 23 Grad, ein lauer Frühsommerabend, gefühlt ist die halbe Stadt auf den Beinen. Vor allem junge Leute sind in die City gekommen, um die freudlose Corona-Zeit abzustreifen.

 

„Wir haben alle Nachholbedarf“, zeigt Innenminister Strobl denn auch Verständnis. Doch der Grund für den Vor-Ort-Besuch mit dem neuen Finanzminister Bayaz ist ein anderer: Das grün-schwarze Duo will besser verstehen, warum es in Stuttgarts Mitte von Zeit zu Zeit nachts so richtig rummst - zuletzt am vergangenen Samstagabend.

Der Polizei schwant Böses

Der erste, der es erklären könnte, ist Frank Döppner. Er ist an diesem Abend der Einsatzleiter der Polizei. Döppner nimmt kein Blatt vor den Mund, auch nicht vor den Politikern. Der erfahrene Beamte unterscheidet das normale Feierpublikum und eine „Problemklientel“. Für die es eine Art „Volkssport“ sei, die Polizei zu provozieren und die versuchen, andere aufzuwiegeln. Man versuche, die „Rädelsführer“ frühzeitig mit Zivilbeamten zu erkennen, doch sie kämen oft wie aus dem Nichts. Döppner fürchtet Schlimmes. Sollte das corona-bedingte Alkoholverbot auf ausgewählten Plätzen von 22 bis 6 Uhr demnächst fallen, sei die Situation wie im vergangenen Jahr. Worauf er anspielt, ist klar.

Mehr Videokameras könnten abschrecken

Döppner meint die sogenannte Stuttgarter Krawallnacht im Juni 2020, die bundesweit Schlagzeilen und Debatten auslöste. Damals hatten Dutzende Menschen, vor allem junge Männer, in der Stuttgarter City randaliert. Zahlreiche Polizisten wurden verletzt und Schaufenster von Geschäften zerstört. Dutzende Beteiligte wurden verhaftet, viele zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Ereignisse in der Nacht zu Sonntag waren nicht vergleichbar, aber die Stimmung war ebenfalls aggressiv und aufgeheizt. Döppner weiß: „Das soziale Problem lösen wir nicht.“ Eventuell könnten mehr Videokameras abschrecken. Strobl nickt.

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Bayaz ist erst seit drei Wochen wieder in Stuttgart, Winfried Kretschmann hat den 37-jährigen Bundestagsabgeordneten zum neuen Finanzminister gemacht. Sein Ministerium residiert im Neuen Schloss. Bayaz ist in Jeans, weißem T-Shirt und blauem Jackett unterwegs und plaudert gleich mal mit ein paar feiernden Jugendlichen Türkisch. Melih Akcaoglu (22) hat eine riesige, goldumrandete Sonnenbrille auf und ist mit seinem stark tätowierten Kumpel Christian Lauster (29) aus Esslingen nach Stuttgart gekommen. Bayaz, der einen türkischen Vater hat, sei „cool“ und spreche „perfekt“ Türkisch, sagt er. Mit Randale wollen er und sein Freund nichts zu tun haben. Akcaoglu will lieber Ausschau nach hübschen Mädchen halten.

Die Freitreppe ist zu

„Das ist der Vorführeffekt“, sagt Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler), der eh in der Stadt mit dem Fahrrad unterwegs war. Es herrscht um diese Zeit, 21.30 Uhr, harmlose Partystimmung. Die kleine Polit-Gruppe samt einer Handvoll Polizisten hat sich nun an der Stuttgarter Freitreppe versammelt, die wegen der jüngsten Krawalle nun erstmal an Wochenenden und Feiertagen gesperrt ist. Eine stärkere Videoüberwachung kann sich Maier schon vorstellen, allerdings nur am Abend oder an Wochenenden. Es dürfe keine „Dauereinrichtung“ sein.

Polizisten berichten: „Man träumt schlecht.“

Zwei junge Polizisten in voller Montur und mit Baseballkappen hoffen dagegen inständig darauf, dass die Ausschreitungen nicht zur Dauereinrichtung in Stuttgart werden. Die beiden waren vergangenen Samstag dabei, einer wurde von einer Flasche getroffen. „Mich hat das schockiert“, berichtet ein Beamter seinem obersten Dienstherrn Strobl. „Noch defensiver als wir kann man nicht auftreten.“ Trotzdem sei der Hass auf die Polizei frappierend gewesen. Die Jugendlichen seien der Meinung gewesen, sie hätten die Stadt „im Griff“. „Man schläft schlecht und träumt schlecht“, erzählt der Polizist und fragt sich, wie das weitergehen soll, wenn Ende nächster Woche auch noch die Fußball-EM startet. Strobl wirkt sichtlich betroffen und wünscht den beiden, dass sie die Ereignisse gut verarbeiten können.

An diesem Abend müssen die Polizisten immerhin kaum eingreifen. Es bleibt friedlich, wie das Lagezentrum des Polizeipräsidiums in der Nacht berichtet. Und so bleibt am Ende das Bild im Gedächtnis, auf dem zwei gewitzte Jugendliche ein Selfie machen mit Strobl und Bayaz. Dennis Pinar (18) und sein Kumpel Ilkar Mevlüt Baka (18) sind danach mächtig stolz auf ihren Coup und feiern noch bis in den späten Abend.