Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer wirft dem Bundeskanzler einen skandalösen Vergleich vor. Warum die Aussagen von Scholz für so viel Aufruhr sorgen – und für wie problematisch sie Fachleute halten.

Hat der Bundeskanzler Parallelen zwischen Aktionen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten und der NS-Zeit gezogen? Über diese Frage wird seit dem Wochenende diskutiert – vor allem im Netz. „Die Äußerungen des Kanzlers stehen für sich“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christine Hoffmann am Montag in einer Pressekonferenz. Und wies die Vorwürfe zugleich zurück: Ein solcher Vergleich sei „vollkommen absurd“.

 

Auch auf mehrfache Nachfrage hin erklärte sie allerdings nicht, was Scholz mit den Aussagen auf einer Podiumsveranstaltung beim Katholikentag in Stuttgart stattdessen gemeint hatte. Vehemente Störungen öffentlicher Podiumsdiskussionen seien kein Beitrag zu einer inhaltlichen Diskussion, so Hoffmann.

Fridays-for-Future-Aktivistin Neubauer spricht von einem Skandal

Was war geschehen? Auf einen Zwischenruf von einem Klimaaktivisten aus dem Publikum hatte Scholz am Freitag bei einer Podiumsdiskussion gesagt: „Ich sage mal ganz ehrlich: Diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank.“

Am Sonntagnachmittag hatte Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer einen Mitschnitt der Aussage von Scholz bei Twitter geteilt – und scharf kritisiert. „Der Kanzler der Bundesrepublik relativiert in nur einem Halbsatz die NS-Herrschaft, und auf paradoxe Art und Weise die Klimakrise gleich mit. Er stilisiert Klimaschutz als Ideologie mit Parallele zur NS-Herrschaft. In 2022. Jesus. Das ist so ein Skandal“, schrieb Neubauer.

Mehrere renommierte Forschende reagierten darauf. „Auch ich möchte die Stellungnahme von Bundeskanzler Scholz hierzu hören“, schrieb etwa der Klimaforscher Stefan Rahmstorf.

Extremismus-Experte sieht Vergleich mit Faschismus

Was genau hat Olaf Scholz mit seiner Aussage wohl gemeint? „Der Kanzler nutzte eine für die Beschreibung des Nationalsozialismus und die Aktionen der Faschisten stehende Redewendung, um damit die Intervention von Klimaaktivisten abzucanceln“, kommentierte der Extremismusexperte Matthias Quent die Aussagen von Scholz gegenüber unserer Zeitung. Seine Aussage lasse sich „historisch nur auf die Faschisten der italienischen Schwarzhemden oder die der deutschen Sturmabteilung (SA) beziehen“, so Quent.

Er halte es zwar für zweifelhaft, dass für Scholz bei genauem Nachdenken Klimaaktivisten und Faschisten auf einer Stufe stünden. „Aber die Art und Weise, wie er die jungen Leute in dieser Situation mit einer solch absurden Gleichsetzung cancelt, entspricht eher der Rhetorik der autoritären Reaktion als der des selbsternannten Klimakanzlers“, sagte Quent.

Antisemitismusbeauftragter beobachtet verschärfte Debatte

Der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung – Michael Blume – setzte die Aussagen von Scholz in einen ähnlichen Bezug. Trotz aller Verärgerung hätte er dem Bundeskanzler „davon abgeraten, die den Katholikentag störenden Aktivisten der letzten Generation rhetorisch mit den Schwarzhemden des Faschismus zu verknüpfen“, sagte er gegenüber dieser Zeitung.

Auch bei Fridays for Future und Extinction Rebellion sei es aber schon zu antisemitischen Entgleisungen gekommen, so Blume. Der Ton zwischen Klimaaktivisten und demokratischen Parteien habe sich in Deutschland verschärft – das beobachte er mit Sorge. „Wir brauchen gerade im Hinblick auf die eskalierende Klimakrise dringend mehr demokratischen Dialog und weniger Gut-Böse-Polarisierung“, sagte Blume.

Klimaaktivisten kritisieren Scholz’ Vorwurf der Inszenierung

Initiiert hatte die Störaktionen bei der Veranstaltung am Freitag die Klimabewegung „Letzte Generation“, die derzeit bundesweit mit Straßenblockaden für Aufmerksamkeit sorgt. „Im Prinzip hat Scholz gesagt: Wer sich für Klimaschutz engagiert, inszeniert das, ist also Schauspieler“, sagte Moritz Riedacher, Aktivist aus Stuttgart. Scholz habe damit in seinen Augen gezeigt, dass er kein Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Klimakrise habe. Riedacher betonte auch: Die Klimabewegung nutze durchaus „sämtliche demokratischen Mittel“, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen – auch das Gespräch. „Wir merken aber immer wieder, dass Politikerinnen und Politiker ihre Verantwortung nicht wahrnehmen.“ Deshalb greife die „Letzte Generation“ auch zu Maßnahmen wie Störaktionen.

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Jaron Immer, Sprecher der Klimabewegung Fridays for Future in Baden-Württemberg, wertet Scholz’ Aussagen ebenfalls als problematisch. „Scholz hat den Menschen damit ihre Sorgen um die Zukunft abgesprochen“, sagte er. Aus seiner Sicht mache dies deutlich, dass Scholz nicht verstehe, „was uns nach wissenschaftlichem Stand bevorsteht“.

Forderungen an Olaf Scholz – nicht nur von Aktivisten

Am Montagnachmittag starteten Klimaaktivistinnen und -aktivisten im Netz eine Petition – mit einer Forderung gerichtet an Olaf Scholz. Man fordere keine Rechtfertigung, eine solche Gleichsetzung sei nicht zu rechtfertigen. „Wir fordern eine Klarstellung“, hieß es in dem Text, den unter anderem der Wissenschaftler Volker Quaschning sowie Meron Mendel unterzeichnet hatten, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. „Eine Klarstellung, dass Sie sich nach wie vor dem Pariser Klimaziel verpflichtet sehen und wir fordern und brauchen einen Plan, wie Sie dies einhalten werden. Stellen Sie klar, dass Sie die Arbeit dafür, ob politisch oder aktivistisch, nicht als Ideologie verstehen.“