Durcheinander beim Großen Preis von Japan: Auch der Gewinn des zweiten WM-Titels von Max Verstappen wird von einer peinlichen Vorstellung des Automobil-Weltverbands Fia begleitet.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Die Formel 1 hat in Japan ihren Weltmeister 2022 gekürt, wie erwartet heißt er Max Verstappen, der seinen Titel aus dem Vorjahr verteidigt hat. Irgendwie werden WM-Triumphe des Niederländers stets mit einem befremdlichen Rumoren begleitet, das entweder für ekstatische Entrüstung oder für ein leiseres, aber lästiges Grummeln sorgt. 2021 war es die höchst umstrittene Entscheidung von Rennleiter Michael Masi, womit die Trümpfe nach einer Safety-Car-Phase im WM-Finale im Duell mit Lewis Hamilton in die Hände von Verstappen gelegt wurden, der in der letzten Runde am Silberpfeil des Briten vorbeizog und sich die Krone schnappte. Masi wurde später vom Automobil-Weltverband Fia abkommandiert, was zumindest im Mercedes-Lager als Schuldeingeständnis gewertet wurde.

 

Am Sonntag in Suzuka hatten die Rennkommissare ihre Finger erneut im Spiel bei der Krönung des Champions. Es waren wegen starken Regens nur 28 der 53 geplanten Runden gefahren, weshalb nicht nur Red-Bull-Teamchef Christian Horner davon ausging, dass lediglich die halbe Punktzahl für die Plätze eins bis zehn verteilt würden. „Wir waren sicher, dass es nur volle Punkte gibt, wenn 75 Prozent des Rennens gefahren wurden“, sagte der Brite. Doch die Fia überreichte die volle Punktzahl – was den überraschten Max Verstappen vorzeitig zum Champion 2022 beförderte.

Der Weltverband hatte eine Regel nach Belgien 2021 neu gefasst. Damals waren die Autos bei starkem Regen knapp drei Runden hinter dem Saftey-Car hergefahren und der Grand Prix dann abgebrochen worden – die Piloten erhielten die halbe Punktzahl, obwohl nie ein Rennen im eigentlichen Sinn stattgefunden hatte. Die Regelhüter wollten eine ähnliche Farce für die Zukunft ausschließen und änderten die Regularien.

Gut gemeint, schlecht umgesetzt. Als Begründung für die volle Punktzahl in Suzuka, obwohl nur knapp mehr als die Hälfte des Großen Preises absolviert worden war, diente die Aussage, das Rennen sei mit der Zielflagge beendet und nicht abgebrochen worden, weshalb die 75-Prozent-Regel nicht greife. Hätte die alte Fassung gegolten, hätte es in Japan keine vollen Punkte gegeben. „Ich glaube, es ist ein Fehler“, sagte Red-Bull-Teamchef Horner, und Andreas Seidl, Teamchef von McLaren pflichtete ihm bei. „Es sieht so aus, dass alle dieses Schlupfloch übersehen haben“, sagte der Passauer und forderte, man müsse beim Reglement „einen besseren Job“ machen.

Bei Ferrari sehen sie den Regelwirrwarr kritischer. „Es gibt eine unendliche Liste von Kontroversen und Fehlern“, schimpfte Teamchef Mattia Binotto, „ich möchte nicht so weit gehen und sagen, dass alles zum Wohle von Red Bull getan wird, aber es gibt Ungereimtheiten und Fehler bei den Entscheidungen. Unser Sport muss besser werden.“ Was die überraschende Entscheidung erträglich gestaltet: Dieses Jahr war das Titelduell zwischen Verstappen und Ferrari-Pilot Charles Leclerc so gut wie entschieden und stand nicht Spitz auf Knopf wie der Zweikampf Verstappen gegen Hamilton 2021 – hätte der Niederländer nicht in Suzuka den Sack zugemacht, wäre es ziemlich sicher ein oder zwei Rennen später passiert.

Auch die Inkonsequenz der Rennkommissare weckt Kritik. Während in Singapur vor einer Woche Sergio Perez um seinen Sieg über eine Stunde zittern musste, weil er zu viel Platz zum Safety-Car gelassen hatte, brummten die Stewarts Leclerc in Japan innerhalb von Augenblicken eine Fünfsekundenstrafe für das verbotene Verlassen der Strecke auf, womit er vom zweiten auf den dritten Platz zurückfiel – und so erst möglich wurde, dass Verstappen vorzeitig seinen zweiten Titel bejubeln konnte.

Es verfestigt sich zusehens der Eindruck, die Fia verliere den Durchblick in ihrem wortreichen Regelbuch sowie als Folge dessen den Überblick beim Geschehen auf den Rennstrecken. Denn dort herrschte in Suzuka eine gefährliche Situation, als ein Bergungsfahrzeug bei wenig Sicht nah am Kurs fuhr, während noch Autos vorbeirasten. „Unter solchen Umständen mit schlechter Sicht sollten niemals Streckenarbeiter oder Fahrzeuge auf dem Kurs sein“, kritisierte Alpha-Tauri-Fahrer Pierre Gasly. Fragwürdige Situationen mit Streckenposten oder Bergungsfahrzeugen an sensiblen Orten passierten trotz aller Initiativen für mehr Sicherheit zuletzt immer wieder, was die Piloten umtreibt.

Max Verstappen ist (vorerst) am Ziel, Red Bull steht kurz davor, die Konstrukteurswertung zu gewinnen, aber der Weltverband um Präsident Mohammed Ben Sulayem hat noch einiges auf der Agenda.