Immer mehr Menschen sind von Einsamkeit betroffen. Das Projekt Anbandeln im Stuttgarter Norden soll aus der Isolation helfen.

S-Nord - Mit jedem neuen Tag ist sie wieder da, die Einsamkeit. Angefangen hat es vor drei Jahren. Damals ist ihr Mann gestorben. Die Tochter der Stuttgarterin wohnt weit weg, hat ihre eigene Familie und ihr eigenes Leben. Aus dem Haus zu gehen fällt der 83-Jährigen schwer: Die Beine wollen nicht mehr so richtig. Und jetzt, im Winter, ist die Einsamkeit noch spürbarer. Oft sitzt die Seniorin nur da und starrt an die Wand oder in den Fernseher. Vor kurzem nahm sie ihren Mut zusammen, rief bei Martin Pomplun an und bat ihn, sie zu besuchen. Er kam – ausnahmsweise.

 

Martin Pomplun ist Diakon bei der Evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-Nord. Bei ihm und seiner Kollegin, Christine Göttler-Kienzle, Gemeindereferentin der katholischen Kirchengemeinde St. Georg, gehen viele solcher Anrufe ein. Weil die hauptamtlichen Mitarbeiter der Kirchen aber nicht die Zeit zu solchen Besuchen haben, entstand die Idee zu dem Projekt „Anbandeln“: einem ökumenischen Besuchsdienst im Stuttgarter Norden.

Derzeit ist das Projekt noch im Werden: „Wir wollen ein Netzwerk aufbauen mit Menschen, die Zeit und Lust haben, andere zu besuchen, und mit Menschen, die sich über solche Besuche freuen würden“, sagt Göttler-Kienzle. Welcher Religion die Teilnehmer angehören, ob sie überhaupt etwas glauben und wie alt sie sind, tut nichts zur Sache. Göttler-Kienzle: „Auch die Menschen, die nicht in die Kirche kommen, gehören zu uns, und Einsamkeit gibt es in jedem Alter.“

Alter und Religionszugehörigkeit spielen keine Rolle

Eine, die ehrenamtlich mitmachen will, hat sich noch während des Gesprächs zwischen Pomplun und Göttler-Kienzle gemeldet: Elke Nordmann. Sie ist 71 und noch gut zu Fuß. Bei dem Projekt mitmachen möchte sie, „weil es eine sinnvolle Sache ist und mir und anderen hilft“, sagt sie. Besuche könnte sie alle 14 Tage machen, um sich dann mit dem Besuchten über Gott und die Welt zu unterhalten.

Nordmann hat das Ziel des Projekts auf den Punkt gebracht: Anderen, aber auch sich selbst helfen. Pomplun: „Es soll ein Austausch sein, ein Miteinander auf Augenhöhe. Und vielleicht ist der eine oder andere ehrenamtliche Besucher ja selbst einsam und findet so wieder raus aus seiner Isolation.“ Und im besten Fall ergeben sich Freundschaften aus den Treffen.

Wie die sich gestalten, bleibt den Beteiligten überlassen: Kaffee trinken und reden, Schach- oder Mensch ärgere Dich nicht spielen, spazieren gehen. Vielleicht entdecken die Teilnehmer auch gleiche Interessen und gehen zusammen ins Theater oder Kino.

Was das Projekt „Anbandeln“ nicht ist: ein hauswirtschaftlicher Dienst. Göttler-Kienzle: „Dafür gibt es professionelle Angebote.“ Sie und Pomplun wollen sich mit den Ehrenamtlichen regelmäßig austauschen und stehen mit Tipps an ihrer Seite.