Bis vor Kurzem kannte Bettina Dauber in ihrer Nachbarschaft so gut wie keinen. Das hat sich schlagartig geändert. Der Grund ist das Projekt „Nachbarschaft selbst gemacht“. Am Schützenplatz in Stuttgart-Mitte treffen sich die Anwohner an einem Parklet.

S-Mitte - Das Vollkornbrot schmeckt hervorragend mit der Guacamole. Ein Anwohner freut sich über das Lob. Er verrät, dass er zum ersten Mal selbst gebacken hat. Die Anwohner des Schützenplatzes haben auch sonst aufgetischt. Quiche oder Kuchen, Limonade und Sekt – es gibt etwas zu feiern.

 

Mit dem Brunch auf dem Schützenplatz beginnt das Projekt „Nachbarschaft selbst gemacht“. Der Platz verwandelt sich bis September in eine Piazza. Anwohner können sich nicht nur auf dem Parklet treffen, um etwa nach Feierabend gemeinsam ein Glas Wein zu trinken. Es gibt nun auch eine Bühne für Konzerte und Veranstaltungen. Die Nachbarn organisieren sie selbst. Außerdem gibt es Blumenbeete auf der erweiterten Nutzungsfläche. Setzlinge von Salbei oder Lavendel stecken bereits in der Erde. Die Anwohner des Platzes werden sie in den kommenden Monaten gießen und pflegen.

Stadt verschob Termin für Umgestaltung

Der Architekt Jesús Antonio Martínez Zárate, Desirée Velez Cadillo von der Gruppe „Reciclaje“ und Tom Hauber vom Verein für internationale Jugendarbeit (vij) haben in den vergangenen Monaten die Erweiterung des Parklets auf dem Schützenplatz geplant. Anlass ist, dass die Stadt den Termin für die Umgestaltung des Platzes im Kernerviertel zeitlich nach hinten verschoben hat. Zunächst müssten Kanalrohre unter dem Platz erneuert werden, hieß es von der Verwaltung. Der Anwohnerverein „Casa Schützenplatz“ hat darauf gemeinsam mit den Kooperationspartnern das Projekt einer temporären Umgestaltung in Angriff genommen. Sie soll das Ergebnis der Sanierungsarbeiten nun für einen begrenzten Zeitraum schon einmal vorwegnehmen.

Velez Cadillo erklärt, dass die Aufbauten auf dem Schützenplatz aus Recyclingmaterialien bestehen. Ein Gitter sei zum Beispiel aus alten Lattenrosten zusammengesetzt, meint sie. „Und die Bühne besteht aus alten Holzpaletten“, sagt Velez Cadillo. Ihre Initiative „Reciclaje“ setzt sich für Recycling im peruanischen Distrikt Comas ein. Bei der Planung des Stuttgarter Projekts am Schützenplatz holte sie sich Unterstützung von der spanischen Künstlerinitiative Basurama. „Sie machen eigentlich viel größere Projekte, und das war sehr hilfreich“, sagt Velez Cadillo.

Es wird gemeinsam gekocht

In den kommenden Monaten soll es auf der Fläche ein sogenanntes Repair Café geben. Anwohner können Elektrogeräte, Fahrräder oder Möbel vorbeibringen, die einen Defekt haben. So soll verhindert werden, dass noch Funktionstüchtiges auf dem Müll landet. Auf dem Schützenplatz soll auch immer wieder mit Lebensmitteln gekocht werden, die ansonsten entsorgt würden. „Common Kitchen“ nennt sich das Konzept. Frank Schweizer vom Verein Casa Schützenplatz hat bereits beim Eröffnungsbrunch alle Zeichen auf Nachhaltigkeit gesetzt. Die Gäste trinken nur aus Einweckgläsern.

Bezirksbeirat Wolfgang Kaemmer von den Grünen lässt sich beim Brunch ein Stück Aprikosenkuchen schmecken. Er lobt das Projekt der Anwohner. „Der Bezirksbeirat stand da immer einstimmig dahinter“, meint er. Es sei wichtig, dass diejenigen, die sich lange für eine Umgestaltung des Platzes eingesetzt haben, nun zumindest temporär eine Veränderung spürten, meint er. „Die Leute sehen jetzt, so könnte es mal aussehen“, sagt der Grünen-Bezirksbeirat.

Das Quartier hat sich verändert

Doch manchmal ist wohl schon der Weg das Ziel. Lara Hafner, ihr Mann Hans-Peter und Bettina Dauber gönnen sich ein Glas am Parklet. Sie seien Anwohner, die sich auf dem Aufbau auf dem Schützenplatz kennengelernt haben, erzählen sie. „Ich habe 18 Jahre hier gewohnt und kenne meine Nachbarn erst, seitdem es das Parklet gibt“, meint Dauber. Die drei Anwohner des Schützenplatzes berichten, wie sich das Leben im Quartier verändert hat. Es werde nun beim Nachbarn geklingelt, wenn nach Ladenschluss die Milch ausgeht. Und für einen Schwatz träfen sich Jüngere und Ältere gerne am Parklet. Einmal habe sogar ein Filmteam aus Südkorea bei einem Nachbarschaftsbrunch vorbeigeschaut, erzählt Hans-Peter Hafner. Die Koreaner fanden es wohl spannend, was die Stuttgarter da treiben.