Wer könnte nach dem Rücktritt von Rüdiger Grube den größten Staatskonzern leiten? Fest steht: Ohne bessere politische Weichenstellungen für mehr Schienenverkehr wird sich jeder Nachfolger schwer tun.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Es wird keine leichte Aufgabe. Nach dem Streit im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn und dem Rücktritt von Konzernchef Rüdiger Grube braucht die Bundesregierung eine neue Führungsspitze beim größten Staatsunternehmen. Klar ist: Die Entscheidung wird Chefsache in der Berliner Koalition. Kanzlerin Angela Merkel wird den neuen SPD-Chef Martin Schulz kaum bei der Auswahl übergehen können, wenn sie Ärger zwischen den Regierungsparteien vermeiden will.

 

Formal ist die Suche nach einem Nachfolger die Aufgabe des 20-köpfigen DB-Aufsichtsrates. Dort ist der Personalausschuss zuständig. Im Kontrollgremium gab es zuletzt heftige Meinungsverschiedenheiten über die Sanierungskonzepte und die Erfolgsbilanz Grubes, die im offenen Streit um die Dauer der Vertragsverlängerung und den Rücktritt gipfelten.

Auch im Aufsichtsrat könnte sich das Personalkarussell bald drehen

Die Eskalation bringt die Regierung in Zugzwang und auch Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht unter Druck. Es gilt als nicht ausgeschlossen, dass bald auch im Aufsichtsrat weitere Personalwechsel folgen könnten. Die Bahn ist zwar seit der Bahnreform 1994 eine Aktiengesellschaft, aber weiterhin stark von politischen Interessen bestimmt und im alleinigen Eigentum des Bundes, der mit drei Staatssekretären und sieben ausgewählten weiteren Vertretern, darunter Felcht, im Aufsichtsrat die Richtung vorgibt.

Auch die neue Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries saß bisher im DB-Aufsichtsrat. Die SPD-Politikerin gilt als gut vernetzt mit der zehnköpfigen Arbeitnehmerbank im Kontrollgremium. Die seit einem Jahr blockierten Rotstiftpläne Grubes für den Güterverkehr auf der Schiene und DB Cargo stießen auch bei ihr auf Skepsis.

Im Bahnvorstand ist kaum noch langjährige technologische Erfahrung zu finden

In Sachen Nachfolge hält sich Zypries wie viele Politiker bedeckt: „Die Bahn muss von Schienennetzbetreiber zum Mobilitätsanbieter werden, die anstehenden Personalentscheidungen werden diesem Ziel Rechnung tragen müssen“, erklärt die Politikerin auf Anfrage. Ihr Parteikollege, SPD-Fraktionsvize Sven Bartol, betont, die Entscheidung liege „in den Händen der Spitzen der Koalition und des Bundesverkehrsministers“. Es gebe „niemanden, der sich sofort aufdrängt“.

Damit zielt Bartol auf die bedenkliche Tatsache, dass im DB-Konzernvorstand nach zahlreichen Abgängen kaum noch langjährige technologische Erfahrung im komplexen Rad-Schiene-System vorhanden ist. Finanzchef Richard Lutz, der nun übergangsweise die Leitung übernehmen muss, ist gelernter Controller und Betriebswirtschaftler, Personalvorstand Ulrich Weber ein Jurist. Verkehrsvorstand Berthold Huber, studierter Politologe und Unternehmensberater, hat zwar seit zwei Jahrzehnten Führungspositionen im Regional- und Fernverkehr inne. Den Sprung ganz nach oben trauen ihm bisher aber nur wenige zu.

Der Ex-Politiker Pofalla dürfte auf deutliche Vorbehalte stoßen

Bleibt als letzte interne Option im DB-Vorstand noch CDU-Mann Ronald Pofalla, der frühere Kanzleramtschef und enge Vertraute von Regierungschefin Merkel, der seit Jahresbeginn die gesamte Infrastruktursparte vom geschassten Ex-Vizechef Volker Kefer übernommen hat. Seine Ambitionen auf den Spitzenjob sind unstrittig. Doch besonders in der SPD löste bereits Pofallas Wechsel zur DB als Cheflobbyist vor zwei Jahren großen Unmut aus, die strittige Personalie sorgte monatelang für Schlagzeilen.

Auch auf Gewerkschaftsseite heißt es, dem CDU-Politiker fehle längere Erfahrung im operativen Geschäft. Es sei schon fragwürdig genug, dass ein technischer Laie wie der gelernte Jurist und Sozialpädagoge Pofalla nun das hoch komplexe Technikresort des größten Schienenkonzerns Europas leite.

Eigentlich sollte die Bahn unabhängiger werden von der Politik

Seine Anhänger dagegen verweisen darauf, dass die Bahn ein hochpolitischer Konzern sei, bei dem die Regierung und ihre Minister, das Parlament und seine Abgeordneten, Parteien und Bundesländer immer mitreden wollen, wenn es um Fahrpläne, Angebote, neue Strecken oder strittige Milliardenprojekte wie Stuttgart 21 geht. In dieser Gemengelage, so die Befürworter, sei ein Politprofi der richtige Mann.

Allerdings wird dabei gern vergessen, dass die Bahnreform 1994 und die Umwandlung der Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft gerade für mehr Unabhängigkeit von der Politik sorgen sollten. Mehr Verkehr auf die Schiene und bessere Wirtschaftlichkeit, so lauteten die Ziele. Die Bahn sollte kein Spielball der Politik mehr sein.

Konkurrenten sind alarmiert

Das betonen auch DB-Wettbewerber. „Keinesfalls kann und darf der DB Konzern wie eine Behörde durch einen Politiker geführt werden“, warnt Christian Schreyer, Chef des größten DB-Konkurrenten Transdev. „Das wäre der direkte Weg zurück zur Bundesbahn, und das kann keiner ernsthaft wollen.“ Die Verkehrsexpertin der Linken, Sabine Leidig, befürchtet, dass der Konzern mit der Berufung Pofallas endgültig „zum Opfer von Machtspielen der Bundesregierung“ würde.

Gerade das Großprojekt S21, das Grube trotz Milliardenbelastungen für den Konzern weiterlaufen ließ, zeigt den bestimmenden Einfluss der Politik auf das Unternehmen. Pofalla zog damals noch aus dem Kanzleramt die entscheidenden Strippen für den Weiterbau. Mit seiner Berufung als Grube-Nachfolger würde Merkel nach Lage der Dinge nicht nur die SPD brüskieren und in Wahlkampfzeiten ihren Kritikern eine willkommene Vorlage liefern, meinen politische Beobachter.

Grüne wünschen sich eine Bahnreform 2.0

So könnte es erneut auf einen externen Kandidaten hinauslaufen. Auch Grube und dessen Vorgänger Mehdorn, beide frühere Daimler-Manager, kamen direkt als neue Vorstandschefs zur Bahn, allerdings auch als gestandene Topmanager. Die Grünen im Bundestag wünschen sich jedenfalls „einen ausgewiesenen Experten der Bahnbranche, keinen weiteren Auto- oder Luftfahrtmanager“, wie der bahnpolitische Sprecher Matthias Gastel betont.

Für Fraktionschef Anton Hofreiter steht indes fest, dass „kein Bahn-Chef wirklich eine Erfolgschance hat, wenn sich die verkehrspolitischen Weichenstellungen nicht endlich zu Gunsten des Schienenverkehr ändern“. Hier stehe die nächste Bundesregierung in der Pflicht. Eine Bahnreform 2.0 soll deshalb nicht nur bei den Grünen zum Wahlkampfthema werden.