Schäfer Stotz mit seiner Herde Foto: Schwäbische Alb Tourismus/ Dietmar Denger
Wenn es darum geht, etwas vor der Mülltonne oder dem Aussterben zu retten, ist gut gemeint nicht immer gut gemacht. Beim Projekt Albmerino schon: Aus der Wolle von Albschäfchen entsteht in einer nahen Manufaktur pfiffige Kleidung.
Es riecht nach würzigen Kräutern, nach wildem Thymian, Wiesensalbei und süßem Klee. Dazwischen mischt sich der herbe Duft von frischem Schafdung und feuchter Wolle. Umringt von seiner Herde steht Gerhard Stotz, ein großer, kräftiger Mann mit Indiana-Jones-Hut und Wollweste, und versichert glaubhaft, dass er nie etwas anderes sein wollte als Schäfer auf der Schwäbischen Alb.
Rasenmäher für Wacholderheiden
Obwohl er schon in vierter Generation die Schäferei in Münsingen führt, waren viel Innovation, Mut und ein paar kleine Wunder nötig, um den Betrieb zu erhalten. Ihre Daseinsberechtigung „erarbeiten“ sich die Schafe mit drei Jobs: Im Biosphärengebiet Schwäbische Alb pflegen die rund 2000 Mutterschafe von Schäfer Stotz als vierbeinige Rasenmäher die wertvollen Wacholderheiden, ihre Lämmer bereichern die Speisekarten der gehobenen, regionalen Gastronomie und die Wolle der Schafe wird zu Strickmode.
Wolle wurde fast wertlos
Etwa ab dem 15. Jahrhundert waren Schafe allgegenwärtig auf der Schwäbischen Alb, denn die Wanderschäfer nutzten die brach liegenden Wiesen und Äcker als Weide für ihre Tiere, verkauften das Fleisch und die Wolle. Anfang des 20. Jahrhunderts vertrieben Besiedelung und intensivere landwirtschaftliche Nutzung viele Schafhalter von der Alb, gleichzeitig wurde die Wolle dank internationaler Konkurrenz mit der Zeit fast wertlos. Nach einem kurzen Hoch in den 1950er-Jahren, als ein Schäfer in Deutschland noch gut ein Drittel seines Umsatzes durch Wolle erwirtschaften konnte, fiel der Wollpreis stetig. „Inzwischen sind wir bei etwa 25 Cent pro Kilo“, sagt Stotz. Das liegt auch daran, dass die weltweite Konkurrenz teilweise mit fragwürdigen Methoden feinere Wolle aus eigens gezüchteten Tieren produziert.
Wollig-warme Albmerino-Kollektion Foto: Bettina Bernhard
Gut, dass die Biosphären-Familie auf der Alb gut vernetzt ist. So traf vor 15 Jahren der Münsinger Besitzer von 2000 Merino-Landschafen auf die Besitzerin einer Naturtextilien-Manufaktur im benachbarten St. Johann, die sich Nachhaltigkeit, Regionalität und Ökologie auf die Fahnen geschrieben hat: Gerhard Stotz und Veronika Kraiser verstanden sich spontan und entwarfen einen Rettungsplan für die feine Merinowolle von der Alb.
Werksverkauf in einer alten Scheune
Es riecht nach Holz, nach Trockenblumen, nach frisch gewaschener Wolle. Das freigelegte Fachwerk in den Wänden und die Balken an der Decke verraten, dass Veronika Kraisers Werksverkauf in einer echten Antiquität zu Hause ist – einer ehemaligen Scheune. Hier und im benachbarten Bauernhaus, beides liebevoll und aufwendig restauriert, begann 1995 die Geschichte der Textilmanufaktur. „Ich habe einen Job gesucht, mit dem ich Familie und Beruf unter einen Hut kriege“, erzählt die gelernte Bekleidungstechnikerin.
Das erwies sich als schwierig bis unmöglich, doch statt damit zu hadern, beschloss sie, zu gründen. So entstand Flomax Naturtextilien, benannt nach den beiden Söhnen Florian und Maximilian. „Ich wollte strapazierfähige und komfortable Kleidungsstücke, die regional, nachhaltig und ökologisch hergestellt sind und die ich selbst gerne trage“, sagt Veronika Kraiser. Die Mode designt sie selbst und der gesamte Produktionsprozess findet im Umkreis von 35 Kilometern statt. Gestrickt, geschnitten und genäht wird im eigenen Werk, wo auch die beiden längst erwachsenen Söhne inzwischen eingestiegen sind.
Die Chefin von Albmerino: Veronika Kraiser Foto: Bettina Bernhard
In den Regalen des Werksverkaufs stapelt sich Wolliges in Naturfarben von Rohweiß über Hellgrau und Mokkabraun bis zum sprichwörtlichen schwarzen Schaf. Ponchos in Ajourstrick, Troyer mit Norwegermuster, Miniröcke mit Blumenwiese drauf, Arm- und Beinstulpen mit Löwenzahn-, Distel- oder Hagebutten-Design, Pullunder in Mosaikoptik, Kinderkleider mit reizenden Schäfchen. Die sind auch auf Socken, Mützen, Schals für die Großen zu finden. Diese Kollektion gehört zum Label Albmerino, das seit 2009 hier entsteht und mit den bunten Flomax-Produkten aus Baumwolle und Wolle friedlich koexistiert.
Feine Merinowolle auf widerstandsfähigem Landschaf
Merino-Landschafe gibt es seit 1795 auf der Alb. Sie wurden aus spanischen Merinoschafen mit ihrer feinen Wolle und den robusten Landschafrassen der Schwäbischen Alb gekreuzt – was den Schafen die nötige Widerstandsfähigkeit für das raue Klima und gleichzeitig hochwertigere Wolle bescherte. „Ein Schaf bringt etwa vier Kilo Wolle und die geht seit 2009 für einen vernünftigen Preis an Flomax“, erzählt Schäfer Stotz. Denn bei Weltmarktpreisen im Centbereich rechneten sich Schur, Kämmen und Waschen der Wolle hinten und vorne nicht. „Da muss man die Wolle rein betriebswirtschaftlich eher entsorgen.“
Aus Wollabfällen wird Öko-Dünger
Mit dem Projekt Albmerino, das inzwischen nicht nur die Wolle, sondern auch noch die Wollabfälle verarbeitet – zu ökologisch korrekten Düngerpellets –, ist der Wegwerfgedanke passé. „Zudem ist es gelungen, das nur noch rar gesäte Wissen in Bezug auf die Wollverarbeitung hier zu bündeln und wiederzubeleben“, lobt Tobias Brammer vom Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Die Wolle der Merino-Landschafe ist kräftig und langlebig, aber dank Merinoanteil nicht grob, sondern durchaus fein. Was Hightech-Textilien mit immer neuer Stoffausrüstung schaffen, kann Schafwolle von Natur aus: Wasser abweisen und Temperatur ausgleichen.
Mit Omas Strickpullovern, an die sich manche Enkelgeneration mit Grauen als optisch spezielle und fürchterlich kratzige Stücke erinnert, haben die Produkte von Gerhard Stotz und Veronika Kraiser nichts gemein. Jährlich bekommt Albmerino eine neue Kollektion, zusätzlich zu den bewährten Klassikern. Wenn Veronika Kraiser nachrechnet, kommt sie auf mittlerweile „etwa 700 verschiedene Produkte von Kopf bis Fuß“, also von Stirnband bis Socke. Dafür verarbeitet sie jährlich rund zehn Tonnen Garn von den Stotz-Schafen. Woll gut, oder?