Das Europaparlament wollte, dass die Unternehmen ihre Produktionsbedingungen in der ganzen Welt schärfer kontrollieren. Doch nun kommt plötzlich Widerstand aus den eigenen Reihen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Anna Cavazzini ist genervt. Die Konservativen im Europaparlament versuchten gerade gezielt, mühsam erarbeitete Standards zu verwässern, ist die grüne Europaparlamentarierin überzeugt. Tatsächlich scheinen die Vertreter der EVP-Fraktion, zu der auch die CDU/CSU gehört, gewillt, einige EU-Vorhaben auszubremsen. Zur ersten sichtbaren Machtdemonstration kam es, als die Umweltvorgaben für Landwirte verschärft werden sollten. Im zuständigen Agrarausschuss stimmte eine Mehrheit überraschend gegen die Maßnahmen zum Naturschutz.

 

Zudem wurde die Kleinanlegerstrategie auf den letzten Metern entschärft – und das von der Finanzbranche vehement bekämpfte Provisionsverbot für Anlageberater entfernt. Auch die geplante Euro-7-Abgasnorm steht inzwischen auf der Kippe, weil sich mehrere EU-Länder dagegenstemmen. Und nicht nur der französische Staatschef Emmanuel Macron forderte zuletzt eine „Pause“ bei den EU-Regulierungen.

Die Folgen der Billigprodukte

Sehr zum Ärger von Anna Cavazzini machen die konservativen Fraktionen nun auch Front gegen das Lieferkettengesetz, über das an diesem Donnerstag im Parlament abgestimmt wird. Die Vorgaben sollen die Unternehmen in Europa dazu bringen, genauer auf die Produktionsbedingungen zu sehen, unter denen ihre Waren in aller Welt hergestellt werden. Denn häufig profitieren die Verbraucher davon, dass Firmen ihre Jeans, Spielzeuge oder Handys im Ausland billig produzieren lassen. Dass dies bisweilen unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen geschieht, wird angesichts eines günstigen Preises meist in Kauf genommen.

„Fairer Welthandel ist unser Ziel“, schreibt der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab auf Twitter. „Aber die EU sollte nicht alle anderen Länder mit völlig übertriebenen Vorgaben in die Hände der anderen treiben.“ Anna Cavazzini antwortete ihrem Kollegen direkt auf diesen Tweet, dass viele Forderungen bereits aufgeweicht worden seien, um den Konservativen entgegenzukommen. Ihr Fazit: „Es scheint, als hätte der enorme Lobbydruck gewirkt – ohne Rücksicht auf Menschenrechte und Umweltschutz.“

Das deutsche Gesetz soll verschärft werden

Die Grünen-Politikerin erinnert Schwab daran, dass es in Deutschland bereits ein Lieferkettengesetz gebe, das damals von der unionsgeführten Bundesregierung eingeführt worden sei. Zum Ärger vieler Konservativer plant die EU, diese Vorgaben nun in ganz Europa weiter zu verschärfen. So will Brüssel etwa Firmen mit mindestens 250 Mitarbeitern in die Pflicht nehmen. In Deutschland gilt diese Grenze lediglich für Unternehmen ab 3000 Beschäftigen und wird Ende dieses Jahres auf 1000 gesenkt.

Die EVP hat bereits mehrere Änderungsanträge für das EU-weite Lieferkettengesetz eingereicht. So soll etwa die Bezahlung der Unternehmensleitungen nicht von den Anstrengungen beim Klimaschutz abhängen. Nach Ansicht der Grünen machen solche Änderungen das Gesetz zu einem zahnlosen Tiger.

Die Industrie warnt vor zu viel Bürokratie

Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer betont, dass auch die Unternehmen für „die Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Umwelt sind“. Dem geplanten Gesetz fehle es aber an „Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit“. Allein die zusätzlichen Berichtspflichten würden für die Betriebe einen erheblichen Aufwand und damit hohe Kosten bedeuten.

Noch weiß niemand, wie das Lieferkettengesetz am Ende aussehen wird. Nach der Abstimmung im Parlament an diesem Donnerstag müssen sich die Abgeordneten noch mit dem Rat, das ist die Vertretung der EU-Staaten, einigen. Als sicher gilt allerdings, dass die Richtlinie schärfer ausfallen wird als das deutsche Gesetz.