Wachstum führt zu Konsum, Konsum führt zu Wachstum – und dann soll die Wirtschaft auch noch nachhaltig werden? Niko Paech, Professor für Produktion und Umwelt, sieht die nachhaltige Zukunft in einer Wirtschaft ohne Wachstum.

Stuttgart - Niko Paech ist ein Professor im eigentlichen Sinn dieses lateinischen Wortes – also einer, der gerne öffentlich als Lehrer auftritt und eine Botschaft zu vermitteln hat. Niko Paech, 52 Jahre alt, hat eine Botschaft. Er steht auf dem Podium im bis auf den letzten Platz belegten Max-Bense-Saal der Stuttgarter Stadtbibliothek, trägt ein Kopfmikrofon und hält die Fernbedienung des Beamers hoch, mit dem er seine Folien zeigt. Mit ihr illustriert er den rund 200 Zuhörern, wohin Wachstum und Konsum führen.

 

Würde man auf einer Landkarte eintragen, woher die Bestandteile dieser Fernbedienung stammen, sagt er, käme eine Strecke zusammen, die vermutlich zweimal um den Erdball reicht. Paech muss es wissen, er ist in Oldenburg außerplanmäßiger Professor für Produktion und Umwelt. Würde die Fernbedienung in Deutschland hergestellt, mit deutschen Rohstoffen, würden dabei deutsche Löhne gezahlt und die deutschen Arbeitsbestimmungen eingehalten, dann wäre die Fernbedienung ein teurer Wertgegenstand. Sie wird aber in Ländern mit niedrigen Löhnen produziert, die sich auf einzelne Komponenten extrem spezialisiert haben. Das verändert dort die Gesellschaft. Die Reichen werden reicher, die ärmsten der Armen ärmer. „Das ist der Preis“, sagt Paech.

Konsum-Burn-out

Und in Deutschland? Es sei doch merkwürdig, sagt Paech, wie hoch die Zahl der Depressionen in einem der reichsten Länder der Welt sei. In der Glücksforschung gebe es die These, dass Wachstum an einen Punkt komme, an dem das Glück nicht mehr zunehme. Paech spricht von Konsumverstopfung und Konsum-Burn-out. Wachstum und Nachhaltigkeit passen nicht zusammen, das ist seine zentrale These. „Sie können nicht beides haben: Klimaschutz und Wachstum.“ Damit steht der Wissenschaftler, der auch als Unternehmensberater und städtischer Beauftragter für die Agenda 21 gearbeitet hat, im Widerspruch zu Teilen seiner Zunft.

Paech war eingeladen, am Donnerstagabend im Rahmen eines Workshops an der Universität Stuttgart zu sprechen, der sich „Nachhaltigkeit – Problemanalysen, Lösungsansätze, Perspektiven“ zum Thema gesetzt hat. Veranstalter waren das Biologische Institut und das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität. Elke Uhl, die Geschäftsführerin des IZKT, hatte es in ihrer Begrüßung geschafft, das Thema des Abends mit einem einzigen Bild zu illustrieren. Eine Werbezeitung, die sie in ihrem Briefkasten gefunden hatte, schrie es in großen Buchstaben hinaus: „Mehr von allem!“ Darunter Stichworte wie Frische, Auswahl, Billigpreise – und Nachhaltigkeit. Eine „Okkupation des Begriffs Nachhaltigkeit“ nennt Uhl das.

Wasch mir den Pelz . . .

Paechs Kritik an großen Teilen der Umweltdebatte geht weit darüber hinaus. Seit vor 40 Jahren der erste Bericht an den Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, erschien, seien Begriffe wie qualitatives oder grünes Wachstum oder entmaterialisierte Wirtschaft entstanden. In solchen Konzepten werde versucht, Rohstoffe ökologisch effizienter zu nutzen oder, etwa in der Energiewende, „Stoffe, die wir in die Wohlstandsmaschine stecken, qualitativ so anzupassen, dass sie in die Ökosphäre passen“. Dahinter sieht er das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Paech sarkastisch: „Damit kann man den Verlierern etwas versprechen, ohne den Gewinnern etwas wegzunehmen.“ Auch der Bau von Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien erhöhe das Bruttoinlandsprodukt und erzeuge damit zusätzliches Wachstum und zusätzlichen Konsum – wenn nicht für jedes neue Kraftwerk ein entsprechendes altes abgebaut werde.

Paech sieht auf die Menschheit entweder den Kollaps zukommen oder das, was er Postwachstumsökonomie nennt. Zu ihr gehören für ihn – unter anderem – ein Bewusstsein von dem, was genug ist (Suffizienz) und ein höheres Maß an regionalen, zwischenmenschlichen, teilweise nicht kommerziellen Strukturen zur (Selbst-)Versorgung mit Produkten und Dienstleistungen (Subsistenz). Er denkt sogar über „regionales Geld“ nach, das nur begrenzt gültig ist – „rostende Banken“, um den Zwang zum Wachstum, der in wirtschaftlichen Verwertungsketten entsteht, zu stoppen. „Das hat nichts zu tun mit Ethik oder Romantik“, betont er. In unserer „Multifunktionsgesellschaft“ seien die Menschen schon heute überlastet damit, aus dem Angebot an Konsumgütern ständig das für sie Wichtige auszuwählen. Der Nutzen des Wohlstands steige für den Menschen, der seine Zeit bewusst einsetze: „Eine coole Auswahl eines beschränkten Portfolios, damit wir für jede Aktivität die Zeit haben, die wir dafür brauchen.“

Ein missbrauchter Begriff

Nachhaltigkeit
Der Begriff stammt ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert. Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann am kursächsischen Hof in Freiberg, forderte, dass nur so viel Holz in den Forsten geschlagen werden dürfe, wie nachwuchs. Damit wollte er den Nachschub für die Silberminen sichern.

Dauerhaftigkeit
In der Umweltdiskussion beschreibt Nachhaltigkeit einen Zustand des Dreiecks Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt, der sich auf Dauer aufrechterhalten lässt und die Chancen zukünftiger Generationen auf Selbstverwirklichung nicht mindert.

Werbung
Im Sprachgebrauch wird der Begriff bevorzugt in werblichem Sinne verwendet, wenn der Eindruck erweckt werden soll, ein Produkt oder eine Aktion sei besonders positiv. Belegt wird das selten.