Konzepte für neue Welten des Arbeitens, Wohnens und Genießens bot der Kongress Raumwelten in Ludwigsburg. Viele Denkanstöße könnten gerade einer Stadt wie Stuttgart helfen.

Ludwigsburg - Luft, Verkehr, Energie, Mieten – alles muss sich ändern, wenn das Leben in der Stadt wieder attraktiver werden soll. Architekten, Physiker und Gestalter entwickeln dafür patente Lösungen, doch die Beharrungskräfte sind groß; in der Autostadt Stuttgart zeugt davon zum Beispiel der tägliche Stau.

 

„Es fällt schwer, sich vom Gewohnten zu lösen“, sagt am Freitag beim Ludwigsburger Kongress Raumwelten der Physiker Wolfgang Kessling. Mit seiner 1992 in Stuttgart gegründeten Firma Transsolar forscht er an neuen Wegen der Klimatisierung. Und er ist überzeugt: „Wir müssen weg von der amerikanischen Stahl-Glas-Architektur und ihren energieintensiven Klimaanlagen, die derzeit weltweit der angestrebte Standard ist. Wir müssen in Frage stellen, was man klassischerweise kopiert, und darüber nachdenken, was zum jeweiligen Ort passt.“

Klimatisierung durch Durchlüftung

Im Zentrum steht für Kessling, „für die Menschen komfortablere Räume zu schaffen mit dem Ziel einer Dekarbonisierung der Bauindustrie“. Eine Lösung, erprobt unter anderem im tropischen Singapur, sei eine gut geplante Durchlüftung kombiniert mit Verschattung, „und auf der machen wir Solarenergie“. Es wäre interessant zu sehen, ob und wie dieser Ansatz im Stuttgarter Talkessel funktioniert.

Eine Spezialität des Unternehmens sind künstliche Wolken, im Karlsruher ZKM war 2015 die Installation „Cloudscapes“ zu sehen. Das Ziel: Sensibilität zu wecken, die Sinne anzusprechen. „Menschen sind Sensoren, es gibt acht Parameter des Spürens weit über die reine Wahrnehmung der Lufttemperatur hinaus“, sagt Kessling. „Man kann sie dazu verwenden, ein Raumempfinden komfortabel zu machen.“

Nachhaltigkeit muss mit Gestaltung einhergehen

Die Architektin Christiane Sauer forscht an der Kunsthochschule Berlin- Weißensee mit Studenten an Materialien der Zukunft. Auch sie blickt gerne über den Tellerrand: „Wir schauen zum Beispiel einen Raumanzug an und überlegen, wie wir dessen Schutz- und Klimaausgleichfunktionen auf Gebäude übertragen können“, sagt sie in ihrem Vortrag. Sie zeigt einen Solarvorhang, auf dem kleine Elemente sitzen, die auf Temperatur reagieren, sich bei Sonne öffnen wie Blüten und so zugleich den Raum beschirmen. „Shifting Stone“ nennt sich ein Geflecht aus Basaltsteinfasern in zwei Lagen, die sich nach Wetterlage gegeneinander verschieben lassen, um Licht durchzulassen oder Schatten zu spenden.

Der technische Aufwand ist gering, bei beiden sind mechanische Federn und wenig Strom im Einsatz. „Wir versuchen, mit minimalen Mitteln das Maximale zu erreichen“, sagt Sauer. „Unsere Materialien sind zwar teurer als handelsübliche, aber wir brauchen viel weniger davon und weniger Energie, um das System zu steuern.“

Entwürfe können herausragen und sich zugleich einfügen

Einig sind sich alle Referenten, dass Nachhaltigkeit nur funktioniert, wenn sie mit einer ansprechenden Gestaltung einhergeht. Der Stuttgarter Architekt Gunter Fleitz zeigt ein kunstvoll arrangiertes Restaurant in Tokio, das auf der Dachterrasse sein eigenes Biogemüse anbaut, die Augsburger Innenarchitektin Andrea Kraft-Hammerschall, wie es in einem Hotel auf Ibiza gelungen ist, mit rustikalen Artefakten eine Illusion ursprünglicher Schönheit herzustellen. „Ich glaube nicht dass sich cleane, technische Science-Fiction-Konzepte durchsetzen, die man oft sieht“, sagt sie – „man sucht doch immer ein bisschen Gemütlichkeit.“

Der niederländische Architekt Matthijs la Roi realisiert spektakuläre Entwürfe, etwa das L-förmige Gebäude Conradstraat3 in Rotterdam, das direkt am Bahnhof einen Landscraper fürs Business und einen 180 Meter hohen Skyscraper fürs Wohnen bietet. Dieser spreizt sich nach oben hin auf, je höher das Stockwerk, desto ausladender die Erker, desto besser die Lichtausbeute. Wieso das futuristische Gebäude aus dem Stadtbild nicht nur herausragt, sondern sich zugleich einfügt? „Wir haben Ziegel verwendet, die sind ein traditionelles Baumaterial in Rotterdam“, sagt la Roi. „Es ist wichtig, die Umgebung aufzunehmen.“

Ludwigsburg hat eine Lösung für bezahlbaren Wohnraum

Das sieht auch die Italienerin Laura Andreini so: „Es geht darum, den Raum und die Identität des Ortes zu erhalten.“ Sie hat den Neubau eines Weinguts im toskanischen Val di Pesa so in die Landschaft eingepasst, dass er Teil von ihr geworden ist: In den Hang integriert mit Panoramablick und begrüntem Dach, aber erkennbar als kühner Entwurf – ganz anders also als die wenig ansprechenden Schichtungen von Luxusappartements, die an Stuttgarter Hängen zunehmend wuchern, während bezahlbare Mietwohnungen kaum noch zu finden sind.

Diesem sehr akuten Problem begegnet die Wohnungsbaugesellschaft Ludwigsburg mit dem Holzmodul Cube 11. „Das ist ein adaptives Baukastensystem, wir können Gebäude mit Wohnungen verschiedener Größen in dreieinhalb Monaten errichten“, sagt Achim Eckstein von der Wohnungsbau LB. „Die Gebäude sind günstig und zugleich nachhaltig, sie haben Solardächer und Wärmepumpenheizung.“

Raumwelten hat auch 2018 gezeigt: Wer Antworten auf drängende Zukunftsfragen sucht, kann fündig werden. Er oder sie muss nur wollen.