„Nachhaltig“ soll alles in Baden-Württemberg sein, die Strategie dafür kostet das Land Millionen. Aber was nutzt sie? Die FDP würde sie gerne abschaffen, der grüne Umweltminister will sie überprüfen und neu ausrichten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Kaum einen Begriff verwendet das schwarz-grüne Bündnis lieber als „nachhaltig“. Im Koalitionsvertrag erscheint das Wort schon in der Überschrift und dann noch mehrere Dutzend Mal. Nachhaltigkeit soll „zum Markenzeichen unseres Landes“ werden, heißt es darin. In nahezu sämtlichen Bereichen soll Baden-Württemberg nachhaltig, also generationengerecht, werden. Haushalt, Wirtschaft, Bauen, Bildung, Digitalisierung – das hehre Ziel gilt praktisch überall.

 

Entsprechend hoch hält die Landesregierung ihre Nachhaltigkeitsstrategie, mit der es umgesetzt werden soll. Völlig verständnislos reagierte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), als er kürzlich gefragt wurde, ob sich die Strategie nicht überlebt habe und teils skurrile Ergebnisse produziere. Das könne er überhaupt nicht erkennen, solche Kritik kenne er auch nicht, entgegnete Untersteller. Im Gegenteil: Baden-Württemberg gelte mit seinen Aktivitäten bundesweit als vorbildlich, es gebe keinen Grund, diese grundsätzlich infrage zu stellen.

Untersteller sieht Land als Spitzenreiter

Genau das aber tut die Landtags-FDP. Mit einer umfassenden Anfrage hat sich die Stuttgarter Abgeordnete Gabriele Reich-Gutjahr nach der Nachhaltigkeitsstrategie erkundigt, die 2007 von den Liberalen mit auf den Weg gebracht und 2011 unter Grün-Rot neu ausgerichtet worden war. Auf elf Seiten beantwortet Untersteller ihre Fragen, um mit einem dicken Eigenlob zu enden. Baden-Württemberg sei in Deutschland mit großem Abstand Spitzenreiter, wie zuletzt die Nachhaltigkeitstage 2018 gezeigt hätten: Mit mehr als 2500 Aktionen habe der Südwesten dabei jedes andere Bundesland und sogar jeden europäischen Staat übertroffen.

Doch Reich-Gutjahr zeigt sich von der Bilanz nicht übermäßig beeindruckt. Sie verweist auf die Kosten von mehr als 17 Millionen Euro in den Jahren 2008 bis 2016 – und den aus ihrer Sicht sehr überschaubaren Nutzen „dieser kaum zur Kenntnis genommenen Kampagne“. Es sei ja schön, wenn die Regierung die Bürger zu gutem Leben und verantwortungsbewussten Konsumstilen anhalte. Doch diverse Aktivitäten im Zeichen des großen „N“ mit dem Ausrufezeichen dahinter findet sie ziemlich schräg. Das gelte etwa für die Internetseite der Nachhaltigkeitsstrategie, wo man online in einem „HeldeN!“-Shop ein „GenussN!Kochbüchle“ bestellen könne. Seltsam sei auch, dass Links zu scheinbaren Verbraucherinformationen im „N!-Ticker“ auf Werbetexte zweier Firmen führten. Für Untersteller sind dies versehentliche Ausreißer, die man künftig zu vermeiden suche.

FDP hält die Aktivitäten für belanglos

Geradezu anmaßend erscheint es Reich-Gutjahr, dass der Umweltminister mit einem Wettbewerb sogar „KirchengemeindeN!“ ins Visier nehme. Bei der Bewahrung der Schöpfung bräuchten diese sicher keine Nachhilfe.

Auch die Abonnentenzahlen der „N!“-Newsletter – wenige 1000 bei elf Millionen Baden-Württembergern – überzeugen sie nicht. Insgesamt sei die Nachhaltigkeitsstrategie offenbar derart in die Belanglosigkeit abgeglitten, dass niemand mehr diese Aktivitäten kritisch hinterfragt, folgert die Liberale. Im Vordergrund stünden teure Selbstdarstellungskampagnen und klientelpolitische Veranstaltungsformate. Ihr Fazit: „AbschaffeN!“

Ein Sprecher Unterstellers weist die Kritik scharf zurück. Wer glaube, dass Nachhaltigkeit bereits in allen Ebenen der Gesellschaft verankert sei, könne die Strategie als überholt betrachten; doch dieses Ziel sei noch keineswegs erreicht. Es bleibe noch viel zu tun, um den Menschen in den verschiedensten Bereichen nachhaltiges Denken und Handeln nahezubringen. Deshalb sei der Nachhaltigkeitsbeirat unter Vorsitz von Ministerpräsident Winfried Kretschmann auch so breit besetzt. Schon dessen Mitglieder zeigten, „dass der Vorwurf der Klientelpflege absurd ist“.

Gleichwohl will die Landesregierung die Nachhaltigkeitsstrategie nun auf den Prüfstand stellen. Anlässlich des Zehn-Jahr-Jubiläums 2018 habe man beschlossen, sie einer Evaluation zu unterziehen; internationale Experten sollten die Fortschritte bewerten und Empfehlungen formulieren. In einzelnen Bereichen könne es durchaus zu einer Neuausrichtung kommen, verheißt der Umweltminister; das letzte Wort habe dabei aber das Kabinett.