Der 1929 in Berlin geborene André Previn wurde als Komponist, Pianist und Dirigent weltberühmt. Grenzen kannte er keine: er war in Jazz, Filmmusik und Klassik zuhause.

New York - Wenn einem die Krone des allumfassenden Musikers gebührt, dann André Previn (okay, es gab noch Leonard Bernstein, den Previn sehr schätzte): Komponist, Pianist, begnadet Jazz und herzenswarm Mozart spielend, Korngold, Rachmaninow und Strauss dirigierend. Ein witziger Erzähler war Previn dazu – sehr lesenswert sind seine Memoiren „No minor Chords. My Days in Hollywood“, in denen er die Großen seiner Zeit, die seinen Weg kreuzen, nicht schont: „Leider muss man zugeben, dass Heifetz, sobald er die Geige beiseite gelegt hatte, deutlich weniger einer gottähnlichen Persönlichkeit glich.“ Ein Erzmusiker also, mit einem Bein auf europäischem Traditionsgrund stehend, mit dem anderen lässig auf dem Boden der US-amerikanischen Allgegenwart von Film und Jazz wippend.

 

Die sehr deutsche Unterscheidung zwischen unterhaltender und ernster Musik spielte für ihn keine Rolle: „Ich denke nicht darüber nach“, sagte er in einem Gespräch in Stuttgart vor 13 Jahren, als er in die Stadt gekommen war, um das Festkonzert aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens der Liederhalle zu dirigieren.

Er und seine Familie haben überlebt

Ein Leben so prall, dass es für Dutzende von Hollywood-Biopics reichen würde: Am Anfang steht das Schicksal eines Deutschen, der mit seinen Eltern, weil sie Juden sind, als Neunjähriger die Heimatstadt Berlin verlassen muss. Bei der Begegnung in Stuttgart spielte er diese Zeit herunter, vielleicht konnte oder mochte er sich nicht offensiv erinnern an die Stimmung in Berlin nach 1933, an das, was er als Andreas Ludwig Priwin wahrnahm. Nur dies: „Ich war Kind und wie alle Kinder grausam: Ich dachte, die ganze Sache ist ein Abenteuer.“

Er und seine Familie haben überlebt, die meisten anderen nicht. Als ob er diesem geschenkten Leben unbedingt gerecht werden wollte, hat er, hochbegabt, mit dem absoluten Gehör versehen, seine Zeit auf Erden der Musik gewidmet: fleißig, ausdauernd, originell, ehrlich, kollegial wie wenige. Vier Oscars, zehn Grammys und der englische Adelstitel zeugen von Anerkennung dieser Leistung. Bis wenige Tage vor seinem Tod im Alter von 89 Jahren jetzt am Donnerstag in seinem New Yorker Appartement soll er komponiert haben. Einige neuen Werke harren der Uraufführung.

Er unterwarf die Noten nie seinem Willen, trat nicht als Imperator auf

Previn ist zu wenig bekannt geworden für sein Musikertum – er hätte es verdient gleich einem Heifetz oder Bernstein –, dafür aber doch viel für sein Privatleben. Spätestens als die Schauspielerin Mia Farrow ihren Mann Frank Sinatra verließ, um Previn zu heiraten, war er ein Name auf den Societyseiten einschlägiger Blätter, ebenso als er 2002 zum fünften Mal heiratete, die Geigerin Anne-Sophie Mutter. Obwohl sie sich 2006 scheiden ließen, traten sie weiter miteinander auf und blieben Freunde.

Freundschaft, das scheint das Stichwort zu sein: sie verband Previn mit der Musik. Er unterwarf die Noten nie seinem Willen, trat nicht als Imperator auf, sondern ließ die Werke für sich sprechen, wollte ihnen gerecht werden. Besonnen in der Gestik am Dirigentenpult, erzielte er oft genauere und bewegendere Aufführungen als Derwischtänze absolvierende Jungstars heute. Was bleibt, sind seine Aufnahmen, vor allem aus seiner Zeit als Chefdirigent beim London Symphony Orchestra 1969 bis 1979, Prokofjews Violinkonzerte mit Kyung Wha Chung, die Rachmaninow-Klavierkonzerte mit Vladimir Ashkenazy, William Waltons erste Sinfonie . . . Himmlisch!