Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Aber ehe wir’s vergessen: der Tausendsassa hat nach einem weiteren Wohnsitzwechsel, diesmal von den USA nach Westberlin, noch zwei weitere wegweisende Alben eingespielt: „Low“ und „Station to Station“, auf denen sich einige der unbekannten Klassiker Bowies befinden: „Warszawa“ (mit Brian Eno) oder der titelgebende Zehnminüter „Station to Station“.

 

The Return of the Thin White Duke/

Throwing Darts in Lovers’ Eyes/

Here are we, one magical Moment, such

Mit 15 Jahren stand Bowie selber als Sänger auf der Bühne

Aufgewachsen ist Bowie zunächst in recht einfachen, aber geordneten Verhältnissen in Brixton, später dann, aufstrebend, im Londoner Vorort Bromley, wo ihn der Vater mit den ersten Rock’n’Roll-Platten beschenkte. Im Alter von 13 Jahren begleitete er seinen älteren Halbbruder zu Konzerten nach Soho, mit 15 stand Bowie erstmals selber als Sänger und Saxofonist auf der Bühne. Sowohl seine erste Single mitsamt Band als auch die erste Single als Solokünstler gingen in die Hose, ebenso zwei weitere Band-Engagements sowie sein selbstbetiteltes Debütalbum. Dann aber kam der Produzent Tony Visconti, von dem hier später noch die Rede sein muss, und Stanley Kubricks Wahnsinnsfilm „2001 – Odyssee im Weltall“. Aus der Begeisterung resultierten Bowies erster Traumsong „Space Oddity“ und – als „Spätfolge“ – zehn Jahre später sein Überhit „Ashes to Ashes“ rund um Major Tom.

„Ashes to Ashes, funk to funky/

We know Major Tom’s a Junkie/

Strung out in Heaven’s high/

Hitting an all Time Low“

David Bowie – „Ashes to Ashes“

Aus der Asche musste Phönix Bowie, wir befinden uns im Jahr 1980 und beim Album „Scary Monsters“, nun längst nicht mehr emporsteigen; obgleich ihn, wie den vertonten Junkie Major Tom, massive Drogenprobleme plagten, hatte er bereits die zwei epochalen Alben „The Man who sold the World“ und „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ erschaffen. Bowies Wandlung vom Rocksänger zum androgynen Mischwesen und seinem Alter Ego, der Kunstfigur Ziggy Stardust, war vollführt. Neben der Koketterie mit der Homosexualität führte er seine Ehe mit Angela Barnett weiter, aus der Bowies Sohn Duncan entstammt. Dazu, das nur am Rande, kam seine auch nicht gerade klein zu schätzende Produzententätigkeit, für Lou Reeds Album „Transformer“ mit „Walk on the wild Side“ oder das Stooges-Album „Raw Power“ mit Iggy Pop am Mikrofon.

Als Schauspieler war er auch auf dem Broadway zu sehen

Zwischenzeitlich lief, bei all der Lobhudelei wird’s einem fast schon peinlich, en passant auch noch eine nicht unwesentliche Schauspielerkarriere an, die mit Nicholas Roegs „The Man who fell to Earth“ begann, über Christiane F. und die Kinder vom Bahnhof Zoo führte, über „Twin Peaks“ bis hin zu einem Cameo-Auftritt in seinem letzten Streifen, dem 2009 herausgekommenen Musikfilm „Bandslam“; das Ganze gepaart mit Bowies Bühnentätigkeit, die von seinem Broadway-Debüt 1979 in „The Elephant“ bis zu seinem letzten öffentlichen Auftritt reichte, als er vor wenigen Wochen im Dezember bei der Premiere eines von ihm komponierten Musical an der New Yorker Theatermeile zu Gast war.

Der Künstler zog von den USA nach Westberlin

Aber ehe wir’s vergessen: der Tausendsassa hat nach einem weiteren Wohnsitzwechsel, diesmal von den USA nach Westberlin, noch zwei weitere wegweisende Alben eingespielt: „Low“ und „Station to Station“, auf denen sich einige der unbekannten Klassiker Bowies befinden: „Warszawa“ (mit Brian Eno) oder der titelgebende Zehnminüter „Station to Station“.

The Return of the Thin White Duke/

Throwing Darts in Lovers’ Eyes/

Here are we, one magical Moment, such

is the Stuff/

From where Dreams are woven

David Bowie – „Station to Station“

Die Epoche des dünnen blassen Edelmanns, einhergehend mit einer abermaligen künstlerischen Häutung des wandelbaren Sängers David Bowie, nahm ihren Anfang in Berlin. Der reichlich ausgemergelte Musiker wohnte zunächst beim – im Januar 2015 verstorbenen – Edgar Froese, dem Mitbegründer von Tangerine Dream und kam dort einigermaßen von den Drogen los. In den dortigen Hansa-Studios entstand auch das brillante Album „Heroes“ mit dem gleichnamigen, unvergessenen mehrsprachigen Titelsong. Und dass er dann auch noch „Lust for Live“ für seinen damaligen Nachbarn und vermeintlichen Geliebten Iggy Pop produzierte und darüber hinaus Marlene Dietrichs letzten Film drehen ließ – das kommt einem angesichts dieses bewegten Lebens fast schon wie eine Fußnote vor.

I stumble into Town just like a sacred

Cow/

Visions of Swastikas in my Head/

Plans for everyone/

It’s in the White of my Eyes

David Bowie – „China Girl“

Der letzte Aufgesang vor dem vorläufigen Abgesang des Künstlers, der seit einer kleine Schlägerei in Jugendtagen mit zwei verschiedenfarbigen Augen durchs Leben linste, folgte 1983 mit der Hinwendung zur Massenkompatibilität und dem Album „Let’s dance“, das, vom Discoproduzenten Nile Rodgers kuratiert, neben dem Titelsong auch „China Girl“ enthielt, zwei Songs, die man auch zwanzig Jahre später heutzutage noch tagtäglich im Radio hören darf. Ein paar weitere Flops folgten, unterbrochen dennoch immer von ein paar funkelnden Ausreißern („This is not America“ mit Pat Metheny etwa).

Auf dem Festival Hurrican erlitt er einen Herzinfarkt

Dennoch darf zaghaft ein leichter Übergangsmantel des Schweigens über die zwei kommenden Dekaden gelegt werden, ehe Bowie dann 2002 mit dem Album „Heathen“ zurückkehrte, dem eine Riesentournee folgen sollte. Sie führte den Sänger im Oktober 2003 auch zu seinem letzten Gastspiel nach Stuttgart, im Jahr darauf wäre er beinahe auch beim Southside-Festival in Tuttlingen aufgetreten, wenn er nicht tags zuvor beim Schwesterfestival Hurricane nach dem letzten Lied – „Ziggy Stardust“ – erneut nach den Sternen gegriffen und mit einem Herzinfarkt zusammengeklappt wäre.

Zu seinem 69. Geburtstag erschien das Album „Blackstar“

Und das war’s dann mit der öffentlichen Karriere, von seinem allerletzten Auftritt abgesehen, den er mit „Changes“ und Alicia Keys 2006 bei einem Charity-Event in New York gab? Natürlich nicht. Zehn (!) Jahre später veröffentliche Bowie an seinem 66. Geburtstag 2013 die Vorabsingle „Where are we now“ zum kurz darauf erscheinenden Album „The next Day“, und drei Jahre später auf den Tag genau, am vergangenen Freitag, zu seinem 69. Geburtstag „Blackstar“. Über seine Affinität zum Alternative Rock hinweg (man schlage nach bei den Kollaborationen mit TV on the Radio, Arcade Fire, Placebo und den Nine Inch Nails) war Bowie nunmehr beim Jazz gelandet. Und nun ist er, jammerschade, plötzlich tot.

„Look up here, I’m in Heaven/

I’ve got Scars that can’t be seen/

I’ve got Dram, can’t be stolen/

Everybody knows me now“

David Bowie – „Lazarus“

Schließen wir den Kreis mit einem letzten Zitat aus Bowies letztem Album. Und trösten uns immerhin damit, dass dieser fabelhafte Künstler 140 Millionen Schallplatten verkauft und ein geschätztes Vermögen von rund einer Milliarde Dollar angehäuft hat. Dass er sich über das tradierte Geschlechterdenken erhoben und damit nicht zuletzt einen wertvollen Beitrag zur sexuellen Toleranz geleistet hat. Dass er als zweite Frau das internationale Topmodel Iman Abdulmajid geheiratet und sein Leben beinahe fünf Jahrzehnte lang in glamouröser Extravaganz verbracht hat.

Dass er uns ein so vielschichtiges und vor allem bleibendes Oeuvre hinterlässt. Dass er, zuletzt zum Elder Statesman gereift, nicht mehr als exaltierte, sondern ikonografische Figur dastand, obgleich er sich seit zehn Jahren nicht mehr öffentlich geäußert hat. Und dass David Bowie schließlich nicht als abgetakelte Kunstfigur abtritt wie Michael Jackson, dem vermutlich einzigen Sänger, der ihm als Solosänger überhaupt das Wasser reichen konnte, sondern als wahrhaft unbefleckte Schönheit.

Bowie sei bei bester Gesundheit, sagte dessen langjähriger Produzent und intimer Weggefährte Tony Visconti in einem Interview mit dem amerikanischen Musikfachblatt „Rolling Stone“ vor nur wenigen Wochen. War das Unkenntnis oder eine in diesem Fall absolut verzeihbare Notlüge? Auch das weiß man beim verrätselten Leben des Neuerfinders, Futuristen und nimmermüden Neugierigkeitsschnupperers David Bowie nicht.

Er glaube allerdings nicht, fügte Visconti hinzu, dass Bowie jemals noch einmal live auftreten werde. Diese Prophezeiung hat sich leider erfüllt. Auf der offiziellen Facebook-Fanseite des Musikers teilte sein Management die traurige Nachricht mit. Viel zu früh ist einer der ganz Großen von uns gegangen. Einer, bei dem man sich, wann immer er nach den Sternen griff, vorstellen konnte, dass er sie auch berührte.