Michel Serres wollte sein ganzes Leben lang die Grenzen des Denkens zu sprengen. Nun ist der französische Philosoph im Alter von 88 Jahren gestorben.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Die Welt hat einen ihrer großen Optimisten verloren. Der französische Philosoph Michel Serres ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Seine offenes, der Zukunft zugewandtes Denken erklärte er einmal in einem Interview mit den Erlebnissen seiner Jugend. Am Anfang seines Lebens habe er die Welt immer nur im Kriegszustand gekannt, die Suezkrise hat er mit 19 Jahren als Offizier selbst erlebt.

 

Der Philosoph als Brückenbauer

In Zeiten der Auseinandersetzungen seien die Kontrahenten so sehr darauf konzentriert, auf sich einzuschlagen, dass sie nicht wahrnähmen, wie sie sich damit gegenseitig nur zugrunde richteten, so seine Erkenntnis. Daraus zieht der Philosoph den Schluss, dass ein friedliches Zusammenleben nur möglich ist, wenn Brücken gebaut werden und alle Einflussfaktoren in die Gestaltung der Welt mit einbezogen werden. Und darum ging es Michel Serres: er wollte die Zukunft gestalten. Der Wissenschaft wies er dabei eine wesentliche Rolle zu, sie sollte eine ethische Verantwortung für die Welt übernehmen. Seine persönliche Schlussfolgerung: „Ich beschäftige mir mit jenen Fragen, die durch die Beziehungen zwischen dem Wissenschaftler und der Gesellschaft aufgeworfen werden.“ Getrieben war er dabei von dem Glauben, dass die Wissenschaft in seiner Gesamtheit in der Lage ist, Gutes zu schaffen.

Vom Offizier zum Philosophen

Die Karriere als Denker war Michel Serres allerdings nicht in die Wiege gelegt worden. Als Sohn einer armen Familie in der Garonne, besuchte er zuerst die Marineschule in Brest, entschied sich dann aber für ein Studium der Philosophie und wurde 1969 Professor für Wissenschaftsgeschichte an der traditionsreichen Sorbonne in Paris. Im Jahr 1984 begann er zudem an der Stanford University in Kalifornien zu unterrichten. Als Vermittler zwischen den Wissenschaften wurde er 1990 in die Académie française aufgenommen, Frankreichs bedeutendste Gelehrtengesellschaft. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Michel Serres bekannt, weil er einfach formulieren konnte und sich nicht hinter den Mauern der Wissenschaft versteckte. So diskutierte er viele Jahre lange jeden Sonntag im Sender „France Info“ über die aktuellen Entwicklungen der Welt.

Die Forderung nach einer radikalen Wende

In den letzten Jahren widmete er sich immer mehr dem Umweltschutz und dem Einfluss des Internets auf den Menschen – und konnte in seinen Forderungen durchaus radikal sein. So verlangte er in der Ökologie ein neues Denken, das sich fundamental von der hemmungslosen Ausbeutung der Erde distanziert. Seine Überzeugung war: „Verhalten wir uns weiterhin als Parasit gegenüber der Erde, dann berauben wir uns der Möglichkeiten, auf ihr zukünftig leben zu können.“ Viele seiner Werke erschienen auch auf Deutsch. Für seine Arbeiten erhielt der Philosoph 2012 den deutschen Meister-Eckhart-Preis. Begründung: „Brillante Einsichten in die Strukturen unseres Denkens.“