Rund siebzig Jahre lang war Elizabeth Taylor zu sehen – im Kino, Fernsehen, in den Skandalgeschichten. Dabei war sie einfach nur Schauspielerin.      

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Liz! Drei Buchstaben genügen. Ein kurzer Ruf. Wer "Liz" ausspricht im Zusammenhang mit Film, Kino, Hollywood, der macht sich fast jedem sofort verständlich: Liz Taylor, natürlich! Die Taylor! Elizabeth Taylor! Ein Name, der noch einmal all das vereint und zum Ausdruck bringt, was sich Millionen von Menschen Jahrzehnte lang ersehnten und erhofften von jener großen Bilderfabrik in Amerika, die uns unermüdlich beliefert mit dem Traumstoff unserer Abende und Nächte: große Liebe, großes Drama, große Erlösung. Großes Ende.

 

Liz Taylor war ein Star. Verrückt, wer das bestreiten wollte. Nun heißen Stars ja "Sterne", weil sie eigentlich nicht von dieser Welt sind. Sie schweben über uns, schicken ihr Licht von weit her, leben fern von unseren Alltagssorgen. Mühelos könnten wir an dieser Stelle alle Details, alle Anekdoten, alle Slogans aufzählen, die dieses Weltentrückte für Elizabeth Taylor zu belegen scheinen.

Die erfolgreichste Schauspielerin der Welt (gemessen an ihren Gagen). Die schönste Schauspielerin der Welt (zur solchen gewählt in zig Umfragen). Die bekannteste Schauspielerin der Welt (keine war öfter auf dem Titelbild des Magazins "Life"). Die reichste Schauspielerin der Welt (laut Wirtschaftsmagazin "Forbes" 1994 im Besitz von 600 Millionen Dollar). Liz Taylor als Ikone (spätestens seit ihrer Filmrolle als Cleopatra im Jahr 1963). Liz Taylor als Kunstwerk (zum Beispiel bei Andy Warhol und in Songs von Michael Jackson). Liz Taylor als Barbiepuppe (im Jahr 2000, von "Mattel").

Liz Taylor war bereits zu Lebzeiten ein Mythos

Doch wer das Geheimnis von Elizabeth Taylor wirklich beschreiben will, der muss aus diesem fernen Weltall der Superlative hinab auf die Erde steigen. Die Taylor ist nicht deswegen bereits zu Lebzeiten ein Mythos gewesen, weil sie so fern von uns war, sondern weil sie diesseitig war. Fleischlich. Bodenständig. Real. Greifbar. Auch derb. Auch verletzt. Auch verletzend. Eben: Liz. Das bleibt eisern festzuhalten, bevor jene Sensationspresse, die sich schon ihr ganzes Leben lang ihrer bedient hat (und die natürlich auch von ihr bedient wurde) nun auch die Berichterstattung über ihren Tod mit den immer gleichen Worthülsen und Klischees zukleistert.

Drei Dinge, drei Tatsachen, die den Star Liz Taylor stets auf der Erde, mitten unter uns verwurzelten. Erstens: sie war eine hervorragende, eine herausragende Schauspielerin. Das sei doch klar? Ha! Es gibt genug Kritiker, die dies stets bestritten haben. Für sie war Taylor schlicht das Kind aus reichem, behüteten Haus, dem die Mama 1943 - als sie gerade zehn war - durch unermüdliches Antichambrieren die menschliche Hauptrolle im Lassie-Film "Heimweh" verschafft hatte, deren erblühende Schönheit in Teenagerzeiten die mächtigen Produzenten von MGB rasch erkannten, die allein dank geschickter Beleuchtung und gezielter Kameraarbeit in den fünfziger und sechziger Jahren zum Kassenstar aufgebaut wurde, um dann im Verein mit ihrem Schauspielergatten Richard Burton zunächst das Fach der hysterischen Xanthippe zu belegen und schlussendlich ebenso aufgedunsen wie männermordend in der Sackgasse der Altdiva zu landen.

Doch wer wirklich Augen im Kopf hat, der sieht es. Zum Beispiel "Giganten": Im Alter von 24 Jahren spielt sie die Rolle der Leslie Lynnton, die sich vom behüteten Maryland ins raue Texas verliebt und dort als Frau eines Großgrundbesitzers jede traditionelle Frauenrolle, jede politische Konvention, jede gesellschaftliche Übereinkunft, worüber man spricht und was man verschweigt, sprengt. Alle Welt kennt "Giganten" als letzten Film von James Dean. Vor allem aber ist er der erste ganz große Film von Elizabeth Taylor.

Sie machte ihr Leben selbst zum Kunstwerk

Zum Beispiel "Die Katze auf dem heißen Blechdach": 26 Jahre alt ist Liz Taylor, als sie in der Rolle der Maggie ihren Mann Brick (Paul Newman) vor dem Schlimmsten, der Selbstzerstörung bewahren will. In dem Theaterstück von Tennessee Williams ist klar, was exakt Bricks Problem ist: Seine Homosexualität, die er glaubt, unterdrücken zu müssen. Das durfte in einem Hollywoodfilm 1958 aber nicht gesagt wurde. Also lag die ganze Verantwortung, dasjenige auszudrücken, was nicht zur Sprache kommen darf, auf dem Spiel der Taylor - als Spiegel, als Projektion der Verzweiflung für ihren letztlich stummen Gefährten.

Zum Beispiel "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?": Gibt es einen derberen, dreckigeren, ehrlicheren Film über die Abgründe der Liebe, der Beziehung, des Kampfes zwischen einst Liebenden als diesen Schwarzweiß-Psychohorror von 1966? Man muss sich immer wieder klar machen: Gerade 35 Jahre alt war Liz Taylor real, als es ihr gelang, diese Studie einer ebenso zerstörten wie zerstörerischen Mittvierzigerin zu liefern. Das ist seitdem schlicht der Maßstab.

Taylor wusste, was ihre Aufgabe war

Aber nun kommt Tatsache Nummer zwei: Liz Taylor war nicht nur eine Künstlerin. Sie machte ihr Leben selbst zum Kunstwerk. Und zwar gerade nicht, weil es perfekt war. Sondern weil es stets konträr zu dem stand, was gesellschaftliche Konvention eigentlich gebot. Sicher, man kann grinsen über ihre acht Ehen mit sieben Männern. Man kann aber auch bewundern, wie sie sich bereits in den fünfziger Jahren im erzkonservativen, gern einmal bigotten Amerika das Recht herausnahm, ein selbstbestimmtes, autonomes Privatleben zu führen, fern von allen Sonntagsgottesdienst- und Preistdenherrn-Parolen.

Ihr Herz schlägt in den Filmen weiter

Ihre demonstrative, offensive Liebschaft mit Richard Burton 1961 bei den "Cleopatra"-Dreharbeiten in Italien ist bekannt. Aber kann man sich heute noch vorstellen, dass Papst Johannes XXIII. damals gegen diese Affäre anpredigte? Kann man sich vorstellen, dass ein US-Abgeordneter damals im Repräsentantenhaus ein Rückreiseverbot für die beiden Schauspieler beantragte? Doch, so war es! Aber Taylor und Burton ließen sich nicht beirren. Schließlich hatten sie die Macht von Millionen zahlender Kinobesucher hinter sich. Und sie sagten der Welt: Es mag gegen die Regeln sein, es mag gegen die Vernunft sein, vielleicht wird es sogar scheitern - aber wir lassen uns das Recht auf diesen Augenblick nicht rauben.

Tatsache Nummer drei ergibt sich daraus fast zwangsläufig: Im Zweifel wusste Liz Taylor, wo ihr Platz, was ihre Aufgabe war. 1985, mitten in der stickigen Reagen-Ära, trat Rock Hudson vor die Kameras, hager, fahl, todkrank, infiziert mit HIV. Er war der erste Star, der sich zu dieser Krankheit bekannte und die US-Medien zwang, sich mit der sogenannten "Schwulenpest" wirklich zu befassen. Niemand stand ihm damals zur Seite. Schauspielerinnen, die noch kürzlich mit Hudson gedreht hatten, klagten nun über ihre Ängste, sich bei ihm angesteckt zu haben.

Es war Taylor, die sich an die Seite ihres Exfilmpartners stellte. Sie stellte sich vor laufenden Kameras an seine Seite und nahm ihn in den Arm. Die Journalisten hielten den Atem an. Aber tatsächlich: viele lernten daraufhin ihre Lektion. Wir können nicht entscheiden, welcher Filmkuss in Taylors Leben der wichtigste war. Dies jedenfalls war ihr wichtigster realer. Zur rechten Zeit. Ein Spiel wird Wirklichkeit.

Liz! Kurz, knapp, rau. Gar nicht behütet. In den letzten Lebensjahren krank, im Rollstuhl. Aber bis zum Schluss bei öffentlichen Auftritten nie gebrochen. Im Alter von 79 Jahren ist Elizabeth Taylor gestern in Los Angeles gestorben - an Herzversagen. Aber wie kann ein solches Herz versagen? Wie soll das gehen? Wir schauen ihre Filme. Jetzt. Später. Dort schlägt ihr Herz.

Liz Taylor: Ein Leben in Filmen

Aufstieg

"Heimweh" (1943, erste Hauptrolle; Fred M. Wilcox). "Ein Geschenk des Himmels" (1951, Vincente Minelli). "Ivanhoe" (1952, R. Thorpe).

Charakterdarstellerin

"Giganten" (1956, George Stevens). "Die Katze auf dem heißen Blechdach" (1958, Richard Brooks). "Plötzlich im letzten Sommer" (1959, Joseph L.Mankiewicz). "Telefon

Butterfield 8" (Oscar; 1960,

Daniel Mann).

Burton-Ära

"Cleopatra" (1963, J. Mankiewicz). "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" (1966, Mike Nichols). "Der Widerspenstigen Zähmung" (1967, F. Zeffirelli). "Die Stunde der Komödianten" (1967, Peter Glenville). "Unter dem Milchwald" (1972, Andrew Sinclair).

Spätwerk

"Der blaue Vogel" (1976, George Cukor). "Mord im Spiegel" (1980, G. Hamilton). "Flintstones" (1994, Brian Levant). schl