Der Architekt und Bauingenieur Frei Otto ist mit 89 Jahren in seinem Wohnort Leonberg gestorben. Postum wird ihm im Mai der Pritzkerpreis verliehen.

Stuttgart - Sein Werk ist vergleichsweise klein. Es umfasst nicht mehr als zwanzig Bauten – und doch gilt er als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Vertreter seiner Zunft. Denn Frei Otto, der am Montag im Alter von 89 Jahren gestorben ist, hat selbst zwar nicht viel gebaut – für die Architektur und die Ingenieurbaukunst aber umso mehr erreicht. Posthum wird er als zweiter deutscher Architekt nach dem Kölner Gottfried Böhm nun mit dem Pritzker-Preis gekrönt, der wichtigsten Auszeichnung für ein architektonisches Oeuvre weltweit. Otto sei nicht nur Architekt, sondern auch „Forscher, Erfinder, Form-Finder, Ingenieur, Baumeister, Lehrer, Umwelt-Aktivist, Humanist und Schöpfer unvergesslicher Gebäude und Orte“ gewesen, so begründete die Pritzker-Jury ihre Wahl. Der Geehrte habe aber vor seinem Tod noch von der Auszeichnung erfahren. Bekanntgegeben werden sollte sie erst in zwei Wochen, die Mitteilung wurde nun aber vorgezogen. Die Preisverleihung soll wie geplant am 15. Mai in Miami stattfinden.

 

Otto war ein Meister des Leichten und Filigranen, ein großer Pionier und Erfinder. In Zusammenarbeit mit Architekten wie Günter Behnisch und Rolf Gutbrod war er an richtungsweisenden Projekten der neueren deutschen Architekturgeschichte beteiligt, wie etwa den Zeltdächern über dem Münchner Olympiastadion von 1972 oder dem Deutschen Pavillon für die Expo 1967 in Montreal. Zuletzt hatte sich der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven der Expertise des Kollegen aus Stuttgart versichert, als er mit Frei Otto die Lichtaugen für den Stuttgart-21-Bahnhof entwickelte. Von diesem Projekt hat sich Otto später jedoch distanziert und empfohlen, die Planung für den unterirdischen Durchgangsbahnhof nochmals ganz neu zu anzugehen.

Seine Laufbahn begann in Berlin

Geboren wurde Frei Otto 1925 im sächsischen Siegmar. Nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft begann er ein Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin, das er 1952 mit dem Diplom abschloss. Schon seine Doktorarbeit schrieb er über das Thema „Das hängende Dach“, in Berlin brachte er auch die sogenannte Entwicklungsstelle für Leichtbau auf den Weg und 1961 eine Forschungsgruppe über „Biologie und Bauen“.

1964 kam er nach Stuttgart, wo er an der Universität das legendäre „IL“, das Institut für leichte Flächentragwerke gründete. Der Zeltbau am Pfaffenwaldring auf dem Vaihinger Universitätscampus ist bis heute Sitz des Instituts und nach wie vor Anziehungspunkt für Studenten und Architekturtouristen aus aller Welt.

Zu seinen wichtigsten Werken gehören neben den Münchner Olympiadächern und dem Expo-Pavillon für Montreal kleinere Zeltdachkonstruktionen für die Bundesgartenschau in Kassel (1955), ein Hotel- und Konferenzzentrum im Mekka (mit Rolf Gutbrod, 1968–1972), die Multihalle in Mannheim (mit Carlfried Mutschler, 1975), die Ökohäuser in Berlin (1990) und der in Zusammenarbeit mit dem Japaner Shigeru Ban, dem Pritzker-Preisträger des Jahres 2014, entstandene Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover.

Hohe internationale Anerkennung

An Auszeichnungen hat es ihm aber auch in der Vergangenheit nicht gemangelt. So ehrte die israelische Wolf-Foundation ihn 1997 mit ihrem angesehenen Architekturpreis, den Agh-Khan-Preis für Architektur erhielt er sogar zweimal: 1980 und 1998. Das Royal Institute of British Architects verlieh ihm 2005 die Goldmedaille, die TU München im selben Jahr die ehrendoktorwürde, 2006 folgte in Anerkennung seines Lebenswerks der hochdotierte japanische Kulturpreis Praemium Imperiale – alles deutliche Zeichen für die hohe Wertschätzung, die Frei Otto international genoss.

Ökologisches Bauen war Frei Otto ein lebenslanges Anliegen. Er sprach bereits von Energie und materialsparender Architektur, als das Modewort Nachhaltigkeit noch gar nicht erfunden war. Die Entwicklung einer Baukunst, die „das Einswerden des Menschen mit der Natur als Ganzes“ anstrebt, bezeichnete er als eine der größten Zukunftsaufgaben seiner Profession. Als genialer Konstrukteur wird Frei Otto in Erinnerung bleiben, mehr aber noch als Vordenker, auf dessen Ideen kommende Generationen aufbauen können.