Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Viele seiner damaligen VfB-Kollegen sagen, dass unter ihm am Schluss nicht viel gefehlt hätte und der Verein wäre pleite gewesen. Die Zeit als baden-württembergischer Finanzminister hatte MV nicht sparsamer gemacht. Der VfB war aber auch sehr erfolgreich. Der Verein stieg mit dem jungen, neuen (und langhaarigen!) Präsidenten MV 1977 wieder in die Bundesliga auf und feierte 1984 und 1992 zwei Meistertitel und den Pokalsieg 1997. Dazu kamen noch zwei Endspielteilnahmen im Europapokal. Aus heutiger VfB-Sicht sind das unglaublich erscheinende Erfolge. Da spielte einer auf Risiko – und das mit Erfolg.

 

Die vielleicht größte Leistung von Gerhard Mayer-Vorfelder ist aber, dass es niemand geschafft hat, ihn zu Fall zu bringen – ob als VfB-Präsident, DFB-Chef oder baden-württembergischer Minister. Dicker kann ein Fell nicht sein. „Wer austeilt, muss auch einstecken können“, lautete das Motto von einem, der jedes Amt erhobenen Hauptes verließ – trotz vieler Gegenspieler. Zu denen gehörte etwa Theo Zwanziger. Nach einer verkorksten Europameisterschaft 2004 probte der damalige Schatzmeister den Aufstand gegen den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes. MV lernte mit der Zeit aber auch, Kompromisse zu schließen, nachdem ihm ein zu autoritärer Führungsstil vorgeworfen wurde und er auf der Kippe stand. Und so bildete er mit Zwanziger bis 2006 eben eine Doppelspitze beim DFB.

Alleingänge im Aufsichtsrat

Sein Abschied beim VfB hat ihn da mehr geschmerzt. Langjährige Freundschaften seien damals zerbrochen, sagte er einmal. Es waren die Alleingänge, die den Aufsichtsrat gegen ihn aufbrachten, die Nähe zu den Stars wie Krassimir Balakov hatten ihn auch angreifbar gemacht. Doch so richtig konnten diese Vorgänge den Vollblutfunktionär nicht erschüttern, genauso wenig wie die Vorfelder-raus-Rufe, die ihn sein Fußballleben lang begleiteten. Er nahm’s mit Humor. Zu Erwin Staudt, einem seiner vielen VfB-Nachfolger, sagte er einmal: „Bei dir rufen sie nur ‚Vorstand raus‘, meinen Namen haben sie immerhin gekannt.“ Doch einmal, da halfen Gerhard Mayer-Vorfelder auch sein Selbstbewusstsein und sein Humor nicht. Bei der Heim-WM 2006 hatte er das Spiel um Platz drei und damit die deutsche Mannschaft zu einer großen Fußball-Party nach Stuttgart geholt. Und trotzdem wurde er auch vor diesem Spiel wieder ausgepfiffen. Das hat ihn geschmerzt. Es war ihm anzusehen. Selbst das dickste Fell konnte ihn vor dieser Verletzung nicht schützen.

Gedanken hat sich der Vater von vier Kindern und VfB-Ehrenpräsident zuletzt über den Niedergang seines Clubs gemacht und über die „Sozialdemokratisierung“ der CDU, wie er es nannte. In seiner Sturm-und-Drang-Zeit hätte er sich mit aller Macht zu Wort gemeldet, zuletzt hat er es nur noch leise festgestellt. Er wollte nicht den verbitterten Oberlehrer spielen. Diese Rolle hätte auch überhaupt nicht zu diesem lebenslustigen Menschen gepasst – zu dem Genussmenschen, mit dem man sich so herrlich streiten und bis tief in die Nacht bei Zigaretten und Wein sitzen konnte, der nie nachtragend war und kurz vor seinem Tod sagte: „Ich bin mit mir und meinen Mitmenschen im Reinen.“ Glücklich, wer das am Ende eines langen Weges mit dieser Überzeugung von sich behaupten kann.