Heinz Hermann Thiele war Selfmade-Milliardär, Herrscher über Knorr-Bremse und Großaktionär der Lufthansa. Seine harte Hand als Unternehmer bekam selbst sein Sohn zu spüren.

München - Am 2. April wäre Heinz Hermann Thiele 80 Jahre alt geworden. Wenige Wochen zuvor ist der zeitlebens streitbare Unternehmer nun in München im Kreise seiner Familie gestorben. „Es kam völlig überraschend“, heißt es aus seinem Umfeld. Der gebürtige Mainzer sei bis zuletzt aktiv gewesen, hätte keine erkennbare Krankheit gehabt und sich auch nicht mit dem Coronavirus infiziert. Zur Todesursache hüllt man sich in Schweigen. Thiele hatte sich erst vorigen Sommer 79-jährig wieder zum Aufsichtsratsvize des Bremsenspezialisten Knorr-Bremse gemacht. Das ist der Konzern, den er mit teils brachialen Methoden vom kriselnden Mittelständler zum Weltmarktführer von Bremssystemen für Züge und Lastwagen gemacht und 2018 an die Börse gebracht hatte.

 

Es wird dem machtbewussten Unternehmer sicher gerecht, ihn als Patriarchen der alten Schule zu bezeichnen. Bis zuletzt wurde bei Knorr-Bremse keine wichtige Entscheidung ohne ihn getroffen, sagen Kenner der Szene. Wenn ihm Vorstandschefs nicht genehm waren, wurden sie kurzerhand gefeuert. So traf es Klaus Deller 2019 kurz nach dem Börsengang von Knorr-Bremse, der Thieles Familienholding rund fünf Milliarden Euro einbrachte. Auch Dellers Nachfolger Bernd Eulitz konnte sich nur gut ein Jahr halten. Seit Anfang 2021 ist der frühere Siemens-Manager Jan Michael Mrosik neuer Chef.

Thiele setzte seinen Sohn im Unternehmen vor die Türe

Auch Geschäftspartner und Rivalen mussten immer wieder erfahren, dass mit dem Selfmade-Milliardär, dessen Vermögen man auf bis zu 17 Milliarden Euro schätzt, nicht gut Kirschen essen ist. Seinen Sohn Hendrik, der zeitweise als Nachfolger gehandelt wurde, hat er vor gut fünf Jahren im Unternehmen vor die Tür gesetzt. Auf Gewerkschaften war der Patriarch nie gut zu sprechen. Bei Knorr-Bremse wird pro Woche 42 Stunden gearbeitet und damit einen vollen Tag länger als bei tarifgebundenen Firmen – ohne Lohnausgleich. Disziplin und Leistungsbereitschaft, Fairness und Verantwortungsbewusstsein hat Thiele einmal als seine wichtigsten Prinzipien benannt. Die ersten beiden sind unumstritten.

Geboren wurde der kantige Unternehmer in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Er wuchs ohne Vater in bescheidenen Verhältnissen auf. Als studierter Jurist fing er 1969 als Sachbearbeiter in der Patentabteilung von Knorr-Bremse an. 1985 hatte es der Mainzer in den Vorstand geschafft und 1989 zum Alleineigentümer. In der Coronakrise nutzte der damals 79-Jährige die Gunst der Stunde und stieg preisgünstig als heute größter Privateigner bei Lufthansa ein, wo er auf harten Stellenabbau drängte. Beim Bahntechnikkonzern Vossloh hatte Thiele zuvor gegen diverse Widerstände eine Mehrheit erworben.

Seine Tochter wird wohl nicht in seine Fußstapfen treten

Gebündelt sind die Anteile aller Firmen in einer Familienholding, die von ihm und Tochter Julia sowie seiner zweiten Ehefrau Nadia kontrolliert wird. Die Tochter sitzt auch im Aufsichtsrat von Knorr-Bremse und führt den gemeinnützigen Hilfsverein Knorr-Bremse Global Care. Es gilt als ausgeschlossen, dass sie unternehmerisch in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Zu einer Stiftung, über die Thiele vor zwei Jahren zu seiner Nachfolgeregelung öffentlich geredet hatte, ist es nie gekommen.

Das lässt Fragen offen, wie es bei Knorr-Bremse mit sieben Milliarden Euro Jahresumsatz und rund 30 000 Beschäftigten weitergehen soll. Die Mehrheit der Anteile hält auch nach dem Börsengang weiter die Familienholding. Die Lufthansa verliert zudem ihren maßgeblichsten Privataktionär. „In der Rückschau betrachtet habe ich die äußerst beschränkten finanziellen Verhältnisse und die mir sehr fehlende Vaterfigur genutzt, um mir aus eigener Kraft etwas zu schaffen“, hat Thiele einmal sein eigenes Leben resümiert.