Er war mit Jack Nicholson und anderen Hollywood-Größen befreundet, aber viel lieber als in der Traumfabrik war Jim Harrison draußen in der Wildnis. Der am Samstag im Alter von 78 Jahren gestorbene Autor war ein amerikanisches Original.

Stuttgart - Wie lebt ein ernsthafter Autor, wenn er sich in Hollywood aufs Drehbuchschreiben einlässt? Er trifft sich mit wichtigen Menschen zu wichtigen Besprechungen, streckt sich dann mitten in der Konferenz lang auf dem Boden aus, unter dem Vorwand, etwas gegen seine Rückenschmerzen unternehmen zu müssen. Prompt schläft er ein, überwältigt von Schlafmangel sowie Kokain- und Alkoholkater. So hat das mit bärbeißiger Selbstironie Jim Harrison in seiner leider nicht ins Deutsche übersetzten Autobiografie „Off to the Side“ erzählt.

 

Harrison, der am Samstag im Alter von 78 Jahren gestorben ist, ließ in „Off to the Side“ keinen Zweifel daran, dass man in Hollywood zum Wrack werden kann. Aber er verspottete auch das Gejammere über diesen Umstand. Gerade Autoren, brummte er, müssten doch aus ihrer Lektüre der Weltliteratur wissen, wie schnelles Geld und andere Reize sich auf den Menschen auswirken könnten.

Sanierung in der Traumfabrik

Ihn selbst hat Hollywood vor dem völligen Ruin gerettet. Als er Anfang seiner Vierziger Kontakt zur Traumfabrik bekam – Jack Nicholson gefiel sein Debüt „Wolf“ sehr, in dessen Verfilmung er später die Hauptrolle übernahm – war Harrison chronisch Pleite und stand mit einem Bein im Gefängnis: sieben Jahre lang hatte er keine Steuern bezahlt, nicht einmal eine Steuererklärung abgegeben.

Die ökonomische Sanierungsphase in Hollywood, die Harrison fast vom Bücherschreiben abgebracht hätte, warf immerhin das einzige Werk ab, das hierzulande noch halbwegs bekannt sein dürfte. Edward Zwicks Spielfilm „Legends of the Fall – Legenden der Leidenschaft“ (1994) mit Anthony Hopkins und Brad Pitt beruht auf einer Novelle von Harrison.

Ein Mann der Wildnis

Mit deren Figuren, mit Männern, die am liebsten draußen in der Natur sind und Amerika immer noch als raumgebendes Versprechen sehen, sich bei Bedarf aus dem Trubel der Zivilisation zurückziehen zu können, hat der seit seiner Kindheit auf einem Auge blinde Harrison die meiste Zeit seines Lebens mehr zu tun gehabt als mit dem Kokserleben in Hollywood. Angeln und Jagen zählten zu seinen großen Passionen, die Figuren seiner Storys, Novellen und Romane leben oft nahe an der Natur. Der Lockruf der Wildnis und die Launen der Elemente prägen ihr Leben stärker als gesellschaftliche Moden und Zwänge.

In den USA hat man Jim Harrison darum als einen der Nachfolger Ernest Hemingways hoch geschätzt. Bei uns sind Verlage, Kritiker und der Großteil des Publikums nie wirklich warm geworden mit ihm. Hierzulande schätzt man US-Autoren, die eher europäisch wirken, deren Beziehungsgeschichten aus der Großstadt oder dem kleinen Uni-Hain sich problemlos nach Deutschland übertragen ließen. Wer von jenen Seiten, Träumen, Mythen Amerikas erzählt, die Deutschland so nicht spiegeln kann, hat es eher schwer. Obwohl doch gerade diese Schriftsteller wie Harrison das aufregend Andersartige zu bieten haben.

Tagdiebe und Kapitalisten

Der Vergleich mit Hemingway allerdings stößt schnell an seine Grenzen. Anders als der Autor von „Wem die Stunde schlägt“ erwies sich der erdverhaftete Harrison immer wieder auch als großer Humorist und Nachfolger Mark Twains. Für eine Serie von Novellen etwa um den besitzlosen Indianer Brown Dog und dessen tapfere Kämpfe gegen das eigene Pech und eine Welt der Tagdiebe, Kapitalisten und Staatsmachtvertreter oder für die zwei schwarzhumorigen Kriminalromanen „The Great Leader“ und „The Big Seven“ hat er höchstes Lob von Kollegen wie Pete Dexter und James Sallis erhalten, deren Werke deutschen Lesern vertrauter sind.

Wer im Gebrauchtbuchhandel nach alten Harrison-Übersetzungen von „Dalva“ und „Licht über dem Land“ sucht, macht zwar auch mit diesen ernsten, einzeln lesbaren, doch zusammengehörigen Familiengeschichten aus dem rauen Nebraska nichts falsch, im Gegenteil. Man sollte sie ziemlich weit oben auf die eigene Leseliste setzen, wenn man sich für den problematischen, auf Europas Auswanderer wirkenden Traum des 19. Jahrhunderts vom Gratisland für alle im amerikanischen Westen interessiert. Die gesamte Vielfalt, Verschmitztheit und Lebensklugheit von Harrisons Schaffen aber bleibt für deutsche Leser ein noch ungehobener Schatz.