Der Stuttgarter Joachim Fuchsberger, ein Mann, der es mit der Unterhaltung immer ernst meinte, ist mit 87 Jahren gestorben.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“, ein Roman für Kinder, geschrieben 1933, als Kästners bereits erschienene Bücher gerade öffentlich verbrannt worden waren, ist in Deutschland dreimal verfilmt worden: einmal 1954, dann 1973, mit Joachim Fuchsberger in der Hauptrolle, schließlich 2003. Man kann anhand dieser Internatsgeschichte, in der es hauptsächlich darum geht, wie junge Leute ihren Weg ins Leben hinein finden, einen Mentalitätswandel auch in übertragener Hinsicht ablesen. Vor allem im Blick auf die zentrale Figur, Doktor Johann Bökh, den die Schüler durch alle Zeiten hindurch stets „Justus“ nennen – Justus, der Gerechte. Bökh ist Lehrer geworden, wie es bei Kästner heißt, damit „die Jungen einen Menschen hätten, dem sie alles sagen können, was ihr Herz bedrückt“.

 

Der brummelige Paul Dahlke spielte den Bökh 1954, als traue er Kästners Vorstellungen von Verantwortung und Selbstbestimmung doch noch nicht ganz über den Weg. Ulrich Noethen hingegen spielte den Justus fast fünfzig Jahre später, als traue er ihm (und sich als Figur) so viel von Kästners – auch gebrochenem – Idealismus schon nicht mehr recht zu. Und dann gab es eben Joachim Fuchsberger, sozusagen den idealen Bökh.

Die Pfeife als Markenzeichen

Fuchsberger, der sich selber  im Alter gesprächsweise eigentlich gar nicht als Schauspieler sah (und wenn, kaum als guten), ging in der Rolle des Justus 1973 auf. Mit der Pfeife in der Hand, in der Wildlederjacke und mit offenem Hemdkragen erspielte er seinem Lehrer genau das Maß an Menschlichkeit, das sich Kästner vorgestellt haben mochte. Er war ein Optimist und Beförderer mit leise skeptischen Zügen, der im Zweifelsfall immer zuerst sich befragte und kritisierte, nicht die anderen. Einen solch verständnisvollen Pädagogen hätte man gerne haben wollen. Fuchsberger war womöglich nie mehr bei sich als in diesem Film.

In seiner Karriere hatte er damals die zweite Stufe erreicht: Er spielte nun ab und an wirkliche Charaktere. Begonnen hatte der 1927 in Stuttgart geborene Joachim Fuchsberger als gut aussehender Typ mit begrenzten darstellerischen Möglichkeiten,  aber beeindruckender Präsenz, beispielsweise in den geschichtsklitternden „08/15“-Filmen von Paul May (nach dem Buch von Hans Hellmut Kirst). Da war Fuchsberger der viel zitierte, geistig bewegliche Gefreite Asch, der viel dafür tat, dass die alten Landser sich im Kino halbwegs wieder mit der eigenen Vergangenheit aussöhnen konnten. In Wahrheit wusste Fuchsberger besser, was mit den Aschs in Hitlers Deutschlands passiert war, denn mit sechzehn Jahren hatte man ihn als Fallschirmjäger noch an die Ostfront geschickt. Nach der Kriegsgefangenschaft schuftete Fuchsberger eine prägende Zeit lang im Bergbau in Recklinghausen. Wenn es in achthundert Meter Tiefe gewackelt habe, resümierte er einmal, dann sei „etwas geschehen mit der Gemeinschaft“ da unten. Die Arbeit unter Tage vergaß Fuchsberger nie.

Mit silbrigen Haaren immer noch in jungenhafter Manier

Es kamen lange, erfolgreiche Jahre, in denen „Blacky“ mit den früh silbrigen Haaren in immer noch jungenhafter Manier, aber auch schnell sehr routiniert den Inspektor in zahlreichen Edgar-Wallace-Verfilmungen gab: Dienst nach Vorschrift, über den er sich im Alter als Gast in der Wallace-Persiflage „Neues vom Wixxer“ trefflich lustig machen konnte. Ins ernste Fach, wenn man so will, fand Fuchsberger als offizieller Stadionsprecher bei den Olympischen Spielen 1972 zurück. Damals, Ende August bis Anfang September, erlebt Fuchsberger ein paar der schönsten, aber auch schwierigsten Momente, die man sich nur vorstellen kann. Viel später, als wieder öfter die Bilder vom Münchner Spätsommer 1972 in diesem wunderbar luftigen Stadionbau von Günter Behnisch gezeigt wurden, hat Fuchsberger sie entsprechend kommentiert. Und erzählt, was fast keiner wusste.

Fuchsberger war die Stimme der Spiele, er machte ihren Sound aus. Er sollte sein, wie die BRD sich damals, 36 Jahre nach 1936, Hitlers Deutschpomp in Berlin, und 27 Jahre nach Kriegsende sehen wollte: ein Land mit Schuld und Verantwortung, dennoch (oder deshalb) aufgeschlossen, entspannt und begeisterungsfähig für alle Welt. In diesem Sinne moderierte Fuchsberger von hoch oben unterm Dach aus der Kabine beim Einmarsch der Athleten die Eröffnungsfeier, eine vom Orchester Kurt Edelhagen bis hin zu den Goaßlschnalzern gekonnt durchgeswingte Großveranstaltung, der er lässig den Takt vorgab.

Die Olympischen Spiele waren weitergegangen

Vierzehn Tage später war, außer Haltung, nicht mehr viel übrig geblieben von dieser heiteren Aufbruchsstimmung. Dazwischen lagen der Überfall des palästinensischen Kommandos Schwarzer September auf die israelische Mannschaft, siebzehn Tote, ein heilloses Chaos auf dem Flughafen in Riem, eine Trauerfeier mit dem Bundespräsidenten Gustav Heinemann und die Worte des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage: „The games must go on!“

Und die Spiele waren weitergegangen, irgendwie, jetzt mussten sie irgendwie auch zu Ende gebracht werden. Es war der 11. September 1972, und Joachim Fuchsberger führte mit angemessen knappen Worten auch durch die Schlussveranstaltung. Das Stadion war dunkel, die Flamme verlosch, noch einmal wurde durch das Aufstehen von 70 000 Zuschauern der israelischen Sportler gedacht. In diesem Moment hielt der Regisseur des Abends, der Münchner Opernintendant August Everding, einen Zettel vor Fuchsbergers Augen: „Nicht identifizierte Flugobjekte im Anflug, möglicherweise Bombenabwurf, sag Du, was Du für richtig hältst.“

Am Tag danach wusste man mehr – das Flugzeug war aus Finnland, vom Kurs abgekommen, und die Abfangjäger waren schon in der Luft – aber Fuchsberger wusste zu diesem Zeitpunkt gar nichts, außer dass er die ganze Verantwortung hatte, wenn durch ein falsches Wort eine Massenpanik ausbrechen würde.

Schweigen war genau die richtige Strategie

Fuchsberger schwieg. Die Menschen verließen das Stadion, die Stadt ging schlafen, und die Spiele waren aus. Später hat Joachim Fuchsberger, der einen Beruf gelernt hatte, in dem man durch Schweigen selten weiterkommt, sich Hunderte Male durchgerechnet, was gewesen wäre, wenn – aber so kommt man irgendwann ja auch nicht weiter. Er war von der Situation überfordert – und ist ihr dennoch gerecht geworden, also hat er den 11. September 1972 halbwegs einsortiert: unter „Glück gehabt“. Viel Glück.

Nach einer medialen Pause und viel immer ansehnlichem Theater zwischendurch entdeckte Fuchsberger schließlich das Fernsehen für sich – einerseits in der gediegenen Unterhaltungssendung „Auf los geht’s los“, andererseits mit der Talkshow „Heut’ abend“. Fuchsberger kramte die Pfeife und auch Teilaspekte des Doktor Bökh in sich hervor: interessiert, mitfühlend, doch nie kumpaneihaft brachte er in einer ununterbrochenen Stunde Gesprächszeit von seinen Gästen etwas in Erfahrung, ohne sie jemals bloßzustellen oder von oben herab zu dozieren. Und wenn sie nicht sein Herz hatten, so hatten sie zumindest immer sein Verständnis.

In den Siebzigerjahren verlor er sein gesamtes Vermögen

Natürlich hatte Fuchsberger selber seine Empfindsamkeiten und Fehler. Ein veritabler Immobilienhändler zum Beispiel war er nicht – und verlor in den siebziger Jahren sein gesamtes Vermögen. Auf Kritik reagierte er zuweilen dünnhäutig, machte dann aber aus selbst verordneter Abstinenz das Beste – die Filme, die er für den Bayerischen Rundfunk über seine zwischenzeitliche Wahlheimat Australien drehte, konnten sich als Dokumentarstunden allemal sehen lassen.

Je älter er wurde, desto weniger war Fuchsberger bereit, ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Seine Bücher „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ und „Zielgerade“ enthielten keine trostreichen Hinweise auf einen milde besonnten Lebensabend, sondern versuchten der Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen. Für Romantisierungen jedweder Art sah er wenig Grund: Herzinfarkte und Schlaganfälle hatten ihn mindestens genauso gezeichnet wie der Unfalltod seines zuckerkranken Sohnes Thomas, sein einziges Kind aus der Ehe mit seiner Frau Gundel. An einen Gott glaubte er seit den Erlebnissen im Krieg ohnehin nicht mehr. Verbittert indes war er nicht.

Joachim Fuchsberger – bis zum Schluss gern gesehener Besuch im Fernsehstudio – erhielt sich vielmehr eine grundlegende Höflichkeit und Aufmerksamkeit im Umgang mit Menschen, die auf nicht nachlassender Neugier fußte. Seine Antworten wurden weniger, die Fragen nahmen zu. So rundete sich sein Leben. Gestern nun ist Joachim Fuchsberger, ein Mann, der es mit der Unterhaltung im umfassenden Sinn ernst meinte, im Alter von 87 Jahren in München gestorben.