Zum Tod des großen österreichischen Schauspielers und Entwicklungshelfers Karlheinz Böhm. Er hat lange gesucht, um seine Berufung und die Frau seines Lebens zu finden.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Salzburg - Wüllersdorf trat ein und sah auf den ersten Blick, dass etwas vorgefallen sein müsse“, heißt es im 27. Kapitel von Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“. Gleich wird der Geheimrat erfahren, dass sein Freund Innstetten ein Duell anstrebt. Wüllersdorfs erste, erschrockene Reaktion ist, dass er „Muss es sein?“ fragt – und innerlich verneint. Seine zweite Reaktion als Mann des späten neunzehnten Jahrhunderts ist, dass er die Dinge bürgerlich ordnet. So kommt er mit sich überein, dass die Welt nun einmal sei, „wie sie ist“, und dass die Dinge nicht verlaufen, „wie wir wollen“. Wüllersdorf ist für Sekunden fast ein Visionär und über seine Zeit hinaus, fällt dann aber in ein altes, standesgemäßes Muster zurück. Er fügt sich.

 

Karlheinz Böhm spielte den Wüllersdorf in der wunderbar eigenen Schwarz-Weiß-Verfilmung von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974, als ob er sehr gut wusste, wie das ist, wenn man erst in ein anderes Denkmodell und dann in ein anderes Leben springen will – und doch noch einmal zaudert. Das war ein Kunststück – und auch nicht. Denn Karlheinz Böhm spielte hier sich selbst. Zu Fassbinder gekommen war er aus Begeisterung und Verzweiflung. Er mochte die radikalen Filme des Regisseurs, wie er seine eigenen Rollen, die meisten davon in braven bis biederen Produktionen, verabscheute. Genau genommen war er immer noch auf der Flucht vor dem jungen Kaiser Franz Joseph aus den „Sissi“-Filmen der Endfünfzigerjahre, in denen der Kitsch unter der manipulierenden Hand des Inszenators Ernst Marischka arg wucherte.

Fassbinder wollten einen gefühlskalten Protagonisten

Fassbinder hingegen mit seinem oft untrüglichen Instinkt besetzte Böhm bis hin zu „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“ in lauter Anti-Rollen: Er wollte ihn als sadistischen Mann in den furchtbaren Eheszenen von „Martha“, oder als Emotionsverschlucker in „Effi Briest“. So fand der Schauspieler Karlheinz Böhm endlich zu einer tragischen Größe, die ihm zuvor nur ein anderer Regisseur (Michael Powell 1960 in „Peeping Tom“) zu erreichen gestattet hatte. Aber Böhms wahre Bestimmung war auch das rückblickend noch nicht.

Es war überhaupt lange nicht leicht gewesen für den am 16. März 1928 in Darmstadt geborenen Österreicher Karlheinz Böhm, eine Richtung im Berufsleben einzuschlagen. Der Weg in die Musik, den er zunächst als Pianist hatte gehen wollen, erwies sich trotz früher Förderung und erwiesenem Talent als blockiert: Sein Vater war der Dirigent Karl Böhm, seine Mutter die Sopranistin Thea Linhard, der eine noch berühmter als die andere. Überall wo Karlheinz Böhm hätte hinwollen können, waren seine Eltern, vor allem Papa, schon gefeiert worden.

Der Ruhm der Eltern musste überwunden werden

Also warf sich der Sohn aufs Schauspiel, wo er nach Versuchen am Theater im Seichtheitskino („Das Schloss in Tirol“; „Das Dreimäderlhaus“; „Kitty und die große Welt“) vorläufig endete und unglücklich zu werden drohte. Im Übrigen sehr zum Verdruss von Böhm Senior, der Größeres mit ihm im Sinn gehabt hätte. Die Filme mit Fassbinder machten dieser langen Phase ein Ende und bereiteten Böhm am Ende vor auf seine größtes Wagnis. Fassbinders Untertitel zu „Effi Briest“ hatte gelautet: „,Effi Briest‘ – oder: Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen, und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten, und es somit festigen und durchaus bestätigen.“ Das klingt natürlich nach den späten Sechzigern, hat aber inhaltlich bis heute nichts verloren. Aus diesem System jedenfalls scherte Karlheinz Böhm im Jahr 1981 mutig und entschlossen aus, als er die Organisation „Menschen für Menschen“ gründete.

Ein paar Jahre zuvor war Böhm, wie er in seinen Erinnerungen „Mein Weg“ beschreibt, einmal zu einer Kur in der Höhenluft von Kenia gewesen. Gewohnt, hinter die Kulissen zu schauen, hatte sich Böhm auch für Land und Leute interessiert und für sich selbst beschlossen, mehr zu tun als nur Empörung über Armut, Hunger und latente Gewalt in Afrika zu formulieren. Einmal wenigstens kam ihm nun zugute, dass die meisten Menschen nicht davon lassen mochten, auch in den achtziger Jahren noch immer den feschen Kaiser Franz im damals Mittfünfziger Böhm zu sehen: unbehelligt von Proteststürmen durfte er in der ZDF-Sendung „Wetten, dass…?“ , moderiert von Frank Elstner, das Publikum herausfordern, indem er 1981 dort behauptete, es werde nicht einmal jeder dritte Zuschauer in Deutschland, Österreich oder der Schweiz eine Mark, sieben Schilling oder einen Franken gegen die Not in der Sahelzone spenden. Böhm behielt Recht. Abermillionen Menschen schauten zu, herein kamen umgerechnet 1,2 Millionen Mark. Nur? Immerhin? Gleichviel.

Die Sternstunde bei „Wetten-dass“

Böhm nahm die Spenden als Auftrag und Handlungsanweisung. Er akzeptierte nicht, dass die Welt immer so sein wird, wie sie ist. Er versuchte, sie ein wenig besser zu machen, und begann damit in einem Flüchtlingslager im Osten von Äthiopien, wo die NGO-Organisation „Menschen für Menschen“ (MfM) gegründet wurde. Heute zählt sie 700 Mitarbeiter und verwaltet einen Jahresetat von 20 Millionen Euro, der nach wie vor hauptsächlich zum Bohren von Brunnen und zum Bau von Schulen verwendet wird und nach wie vor auf Hilfe zur Selbsthilfe setzt. Dafür stand „Mister Karl“, der nach den schwierigen Anfängen stets danach trachtete, sich eines Tages „überflüssig zu machen“, wie er das nannte. Dass er das nie konnte, solange – zum Beispiel – in Äthiopien Mädchen beschnitten werden, lag auf der Hand.

In Äthiopien lernte Karlheinz Böhm, der bereits drei Mal verheiratet und Vater von fünf Kindern war, dann die „Liebe seines Lebens kennen“, die fast vier Jahrzehnte jüngere Agrarexpertin Almaz Böhm, mit der er 1991 die Ehe schloss – und noch zweimal Nachwuchs bekam. 2011 übernahm sie den Vorsitz von ihrem Mann, der schon damals mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Nicht nur wegen eines überteuerten Bürobaus und anderen Vorwürfen von Intransparenz in Addis Abeba geriet Almaz Böhm zuletzt ins Gerede und war nur noch ehrenamtlich tätig. Auch das gehört zum Bild der insgesamt großen Erfolgsgeschichte von „Menschen für Menschen“, in der nun ein wichtiges Kapitel zu Ende gegangen ist: nach langer Krankheit starb in Gröding bei Salzburg am Donnerstagabend das Vorbild Karlheinz Böhm im Alter von 86 Jahren: Kaiser, Bürger, Menschenfreund – und tatkräftiger Helfer.