Literaturpapst? Was bitte soll das genau bedeuten. Marcel Reich-Ranicki hat diesen Titel verliehen bekommen – nicht nur als Lob gemeint. Seinen Ruhm hat er trotzdem genossen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Frankfurt - Unglaubliche 98 Prozent aller Deutschen kennen seinen Namen, so ergab vor einigen Jahren eine Umfrage. Das ist nicht übel für einen Literaturkritiker, dessen Arbeit sich realistisch betrachtet eigentlich nur an einen deutlich kleineren Teil der Bevölkerung richtet. Vielen galt er gar als der deutsche „Literaturpapst“ schlechthin, wobei keiner so genau weiß, wer diesen Titel erfunden hat, geschweige denn, was er genau bedeuten soll.

 

Aber zweifellos, er war eine Instanz, ein Markenzeichen, eine Ikone des Medienbetriebs, von vielen Kollegen und Autoren kritisch bis argwöhnisch beäugt, von sehr vielen Lesern und Zuschauern aber bewundert und geschätzt. Wer seine Art des Sprechens gut nachahmen konnte – und unzählige Parodisten haben sich über die Jahre hinweg darin geübt –, der brauchte nur wenige Satzbrocken stakkatohaft mit dem typischen rollenden R herauszustoßen, und schon erkannte das Publikum: Aber ja, das ist doch dieser schlaue Glatzkopf mit den dicken Brillengläsern! Oder, um im Idiom zu bleiben: „der Krrritikerrr“.

Reich-Ranicki mit seinen Kindern Andrew und Ida Foto: Zentralbild

Ihn selbst hat das gefreut. Er sah dies im guten Sinne als Ertrag jener summa summarum nur wenigen Jahre, in denen er sich endlich nicht mehr von der großen Gesellschaft abgesondert, ausgegrenzt, für irgendwie unwürdig erklärt fühlen musste. Denn das war ja das große, tragische Lebensthema des angeblichen deutschen Literaturpapstes Marcel Reich-Ranicki: Im letzten Drittel mag seine Biografie von großer Anerkennung zeugen, aber in den zwei Dritteln davor viel mehr vom steten Kampf um Anerkennung, um Anteilnahme, um Aufnahme ins Zentrum der Gesellschaft. Nein, noch viel schlimmer: sie erzählt vor allem vom Kampf ums Überleben.