Die britische Krimiautorin Ruth Rendell ist am Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben. In ihren Romanen und Stories hat sie von den bedrohlichen Schäden hinter den Fassaden des Gutbürgerlichen erzählt.

Stuttgart - Es sind nicht die unfreundlichen, verschlossenen und bemackten Menschen, die man in einer kalt und anonym werdenden Gesellschaft fürchten muss. Es sind die freundlichen, die aufmerksamen, die scheinbar adretten Nachbarn und Unbekannten: so lautet die Drohung der Psychothriller. Die britische Autorin Ruth Rendell hat solche Geschichten erzählt, als die Überraschungen und Wendungen noch nicht von zigtausend Nachahmungen verschlissen waren.

 

Der deutsche Titel ihres Romans „A Demon in my View“, für den sie 1976 den Gold Dagger gewann, bringt es ausnahmsweise schöner auf den Punkt als das Original: „Dämon hinter Spitzenstores“. Es ist die spießigste Biederkeit, in der das Böse steckt, eine Bedrohung, die sich nicht auf das Rationale des Bereicherungs- oder überhaupt Vorteilsverschaffungsverbrechens reduzieren lässt.

Das Instabile und das Rettende

Es sind normale Gefühle, die in Rendells Psychothrillern aus dem Ruder laufen, Begehren, Mutterliebe, Verantwortungsgefühl. Es sind die ganz normalen Verletzungen, eine Zurücksetzung hie, eine Bestrafung da, die eitern, bis die ganze Seele eine verwucherte Entzündung ist. Aber von außen sieht man das den gefährlich Betroffenen nicht an. Sie halten sich für normal, sie sind mit allem im Recht. Und Ruth Rendells Bücher lassen uns daran teilhaben, bis uns schwindlig wird.

Dass die am 2. Mai 2015 im Alter von 85 Jahren gestorbene Autorin auch eine Romanserie um einen soliden, einen klugen, einen ausgeglichenen Polizisten schrieb, um Chief Inspector Wexford, das war mehr als krisenfeste Diversifizierung eines Angebots. Dem Unheimlichen, Zerrütteten, Instabilen ihrer Psychothriller musste sie wohl auch für den eigenen Gefühlshaushalt eine Welt entgegen stellen, in der sich manchmal noch Gefahren eingrenzen, Gefährder festsetzen, Opfer trösten und Bedrohte retten ließen. Wexfords Charakter, gab die 1930 in London als Lehrerskind Geborene offen zu, sei ein mehr oder minder geschöntes Selbstporträt. Damit einher ging dann wohl der Traum der Schreibenden vom Handeln.

Auf der Höhe ihrer Kunst

1986, als sie längst souverän ihre eingeführten Formen beherrschte – ihr erster Roman war 1964 veröffentlicht worden, „From Doon with Death – Alles Liebe vom Tod“, da überraschte sie die Krimiwelt noch einmal mit „A dark-adapted Eye – Die im Dunklen sieht man doch“, dem ersten von vierzehn Romane, die unter dem Pseudonym Barbara Vine erschienen. Ihre Vine-Romane schürften noch tiefer als die Rendell-Thriller, sie interessierten sich für den Zeitenwandel und die Beharrlichkeit, für das Gestrandetsein von Figuren, die aus diesem oder jenem Grund innerlich in einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort lebten, in einem dazu nicht passenden Hier und Jetzt. Über diese Bücher jubelten Kritiker, sie knüpften an die großen englischen Gesellschafts- und Spannungsromane früherer Zeiten an.

Ruth Rendell war eine sehr produktive Autorin. Manchmal schrieb sie entlang vertrauter Muster, und im Alter verlor die seit 1997 für die Labour Party als Baroness Rendell of Babergh im Oberhaus Sitzende ein wenig den Zugang zur Kultur der Jüngeren. Die kompetenten späteren Thriller konnte man lesen oder es auch bleiben lassen. Aber wenn Ruth Rendell auf der Höhe ihrer Kunst war, dann hat sie mit definiert, was Kriminalliteratur, vor allem, was der Psychothriller alles leisten kann, innerhalb und außerhalb der Muster.

Sehr zu empfehlen

Für diese Bücher – etwa den Vine-Roman „König Salomons Teppich“, die Rendell-Thriller „Judgment in Stone – Urteil in Stein“ und „Make Death love me – Mancher Traum hat kein Erwachen“ oder den Wexford-Krimi „An Unkindness of Ravens – Die Grausamkeit der Raben“ – sollte man sich Zeit nehmen. Und die sollte man dringend auch jenen Leuten empfehlen, die wieder mal auf das aktuelle Fräulein-/Bübleinwunder der literarischen Saison hereinzufallen drohen.