Trotz ihes tragischen Todes: Whitney Houston wird als eine der erfolgreichsten Soulpopsängerinnen aller Zeiten in Erinnerung bleiben.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Der Tod ist ein unbarmherziger und leidenschaftsloser Geselle. Ihn scheren weder Zeit noch Ort noch Lebensleistung, ihn juckt es nicht, fürchterlich und zur Unzeit zuzulangen; die Beispielliste ist lang, man denke allein an Amy Winehouse oder Michael Jackson. Der Tod, dieser letzte Wegbegleiter, macht einsam. Und vielleicht hat er umgekehrt ein Faible für die besonders einsamen Seelen. So wird zumindest denkbar, dass Whitney Houston für den Sensenmann ein besonders dankbares Opfer gewesen sein mag. Ein Weltstar, von Gut und Böse und allem verlassen, tot aufgefunden, allein, in der Badewanne seiner Hotelzimmersuite. Eine der letzten Diven der Branche hauchte ihr Leben so banal wie bemerkenswerterweise schon so viele andere Umschwärmte und Umgarnte vor ihr aus: alles, was zuvor groß und wichtig scheint, ist plötzlich nichtig und klein.

 

Gestorben ist Whitney Houston als eine der erfolgreichsten Soulpopmusikerinnen aller Zeiten, als sechsfache Grammygewinnerin, als Sängerin, die 170 Millionen Schallplatten verkauft hat, als wache Künstlerin mit dem Bewusstsein sowohl für die afroamerikanischen wie auch die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge im Allgemeinen, längst angekommen ohnehin im Olymp der Pophistorie, von dem sie nun schmerzhaft hinabgesunken ist.

Bald werden die größten Erfolge in den Charts sein

Zu ihren fulminanten Albumabsätzen werden jetzt gewiss noch zig Millionen weitere Exemplare hinzukommen. Denn wenn Popikonen sterben, zumal so wie Whitney Houston viel zu frühzeitig, ziehen die Plattenverkäufe noch einmal richtig an. Die CDs mit ihren größten Erfolgen werden in den kommenden Wochen die Charts dominieren – weil die Menschen ihre Erinnerungen konservieren wollen: an eine brillante Dreioktavensängerin, an unvergessliche Hits wie – in der Reihenfolge ihres Entstehens – „Saving all my Love for you“, „How will I know“, „I wanna dance with somebody“, „One Moment in Time“ und „I will always love you“, um überhaupt nur die größten Welterfolge zu nennen. An die Sängerin, die Mariah Carey, Christina Aguilera oder Mary J. Blige als ihr künstlerisches Vorbild genannt haben und an einen lebenslustigen, blendend aussehenden und entsprechend aufgelegten Popstar, der weit mehr als nur Momentaufnahmen abgeliefert hat, sondern Bleibendes.

Beiseite schieben möchte man die Erinnerung an ihre dunklen Seiten. Die Alkohol- und Drogensucht, die erfolglosen Therapien (zuletzt im Sommer vergangenen Jahres), die Horrorehe mit dem prügelnden Bobby Brown und die Schlammschlacht um die Scheidung von diesem R- ‘n’-B-Star. Den privaten Bankrott, den sie erst dieser Tage einräumen musste. Und die Spekulationen darüber, dass Whitney Houston jüngst – schlimmer geht nimmer – als neuerlichen ihre Karriere markierenden Tiefpunkt als Jurymitglied einer US-Castingshow ins Gespräch gebracht wurde.Zuletzt ist da womöglich die Erkenntnis, dass die Zeitläufte über sie hinweggefegt sind und eine andere, neue Generation nach oben gespült haben. Alicia Keys, R. Kelly, Akon oder Ne-Yo hießen die Produzenten ihres letzten, 2009 veröffentlichten Albums „I look to you“ – im Gegensatz zu ihr tonangebende Vertreter der modernen zeitgenössischen Soul- und R-’n’-B-Musik.

Die letzte Welttournee war ein Trauerspiel

Dieses Album brachte sie weltweit noch einmal in die Charts, doch einen Bärendienst erwies sie sich mit der dazugehörigen Welttournee. Spekulationen über ihren Gesundheitszustand machten bereits im Vorfeld die Runde, verbunden mit der Fragestellung, ob sie körperlich überhaupt in der Lage sein würde, eine Tour durchzustehen. Die Unkenrufe wurden schon beim Auftakt im Dezember 2009 in Moskau bestätigt, bei den Auftritten danach schrieb die Presse schlimme Dinge.

In der Stuttgarter Schleyerhalle bot sich im Mai 2010 bei dieser Tournee ein ähnlich trauriges Bild. Vor bei Weitem nicht ausverkauftem Haus lieferte Whitney Houston eine erschütternde Darbietung ab. Eine völlig derangierte, schwitzende Sängerin mühte sich verzweifelt durch ihr Programm, die brüchige Stimme versagte ihr in den teils nur angespielten Hits, nur gestützt durch die Backgroundsängerinnen brachte sie die Nummern zu Ende. Bei diesem herzzerreißend unwürdigen Konzert trieb sie zahlreiche Besucher schon weit vor dem Ende in die Flucht; das tragische Schauspiel endete in einer pflichtschuldig vorgebrachten Zugabe, nach der niemand verlangt hatte. Whitney Houstons letztes Konzert in Stuttgart war kein Auftritt, es war eine Zurschaustellung des Verfalls.

Talent in die Wiege gelegt

Dabei hat es Houston an Talent wahrlich nicht gemangelt. Wenn es ihr nicht schon in der Wiege gesungen wurde, war es zumindest frühkindlich geprägt und wurde dortselbst nach Kräften gefördert. Die Mutter von Whitney Elizabeth Houston, geboren am 9. August 1963 in Newark vor den Toren New Yorks, sang in der Begleittruppe von Elvis Presley und Jimi Hendrix, ihre Cousinen sind Dee Dee und Dionne Warwick, ihre Patentante ist Aretha Franklin, bei der sie als Backgroundsängerin auftrat. Schon mit 14 Jahren sang sie mit ihrem glockenhellen Organ für Michael Zager, kurz darauf für Chaka Khan, bald arbeitete sie mit Bill Laswell und dem Saxofonisten Archie Shepp. Von ihrem selbstbetitelten Debütalbum von 1985 verkauften sich 13 Millionen Exemplare, es war eines der erfolgreichsten aller Zeiten. Und für den darauf erhaltenen Song „Saving all my Love for you“ räumte sie kurz darauf ihren ersten Grammy als beste Popsängerin ab.

Am Sonntag wurde Whitney bei der Grammyverleihung in Los Angeles erwartet: als Gast, nicht als Stargast und natürlich auch nicht als Nominierte. Am Samstagnachmittag örtlicher Zeit, hat Whitney Houston in einem Zimmer des Hilton Hotels in Beverly Hills ihr Leben gelassen. Die Polizei geht nicht von Fremdverschulden aus. Wo die „Schuld“ zu suchen ist, kann ohnehin nur Houston beantworten. „Ich bin entweder mein bester Freund oder mein schlimmster Feind“, hat sie vor zehn Jahren einmal in einem großen Fernsehinterview erzählt.

Die Würfel sind in diesem unfairen Spiel nun gefallen: mit gerade 48 Jahren hat sich die Sängerin betrüblicherweise in die Riege derer eingereiht, die . . . ja was, eigentlich? An der Last des Ruhms zerbrochen sind, die ihm nicht standhalten konnten, die den rechten Zeitpunkt für was auch immer nicht gefunden haben, die vielleicht einfach nur aufrichtige Hilfe, innige Zuwendung, einen Wecker für das Selbstbewusstsein gebraucht hätten? Die Bandbreite zwischen Engel, wenn schon nicht gefallenem, so dann doch gestraucheltem Engel ist weit. Die Antwort auf ihre stummen Verzweiflungsschreie wird Whitney Houston mit ins Grab nehmen. Das ist desillusionierend wenig. Was von ihrem kurzen Leben bleiben wird, ist aber – trotz alledem – viel.