Eine Familie berichtet in Stuttgart über den Verlust ihres Kindes und den Weg zurück ins Leben dank einer Reha in der Nachsorgeklinik in Tannheim.

Stuttgart - Keiner hat den unbeschreiblichen Schmerz von Eltern, die ihr Kind verlieren, besser in zwei Sätzen auf den Punkt gebracht als der amerikanische Psychiater Elliot Luby: „Wenn Deine Eltern sterben, verlierst Du Deine Vergangenheit. Wenn Dein Kind stirbt, verlierst Du Deine Zukunft.“ Betroffene Familien erleben fortan eine Zeit voller Leere und Sehnsucht. Das Heute scheint oft sinnlos, das Morgen nur schwer vorstellbar.

 

„Mit Erics Tod kam der Tag Null“

Auch die Familie Schmid hat dieses Schicksal durchlebt. Ihr Sohn stirbt bei einem Unfall am 30. April 2015. Er wird von einer Baumaschine überrollt. 22 Minuten später ist er tot. Der gerufene Rettungshubschrauber hebt ohne den 15-Jährigen ab. „Mit Erics Tod kam der Tag Null“, sagt Sabine Schmid bei einem Besuch in Stuttgart. Die Zeit steht still. Das Leben verliert seine Logik, seinen Sinn, seinen Halt. Alles wird unbegreiflich. „Ganz viele unglückliche Zufälle sind bei diesem Unglück zusammengekommen “, sagt die Mutter, die damals trotz des Verlustes spürte: „Es gibt nur zwei Alternativen – Kopf in den Sand stecken oder aufstehen und weiterleben.“

Damit aus der Trauer keine Krankheit wird

So viel Kraft steckt nicht in jedem. Viele kommen aus dem Teufelskreis der Trauer nicht heraus. Sie landen in einer Sackgasse, wie der psychosoziale Leiter der Nachsorge-Klinik in Tannheim, Jochen Künzel, diese Situation beschreibt. „Trauer ist zwar keine Krankheit“, sagt er, „aber man landet eben in dieser Sackgasse, in der Unterstützung nötig ist, damit aus der Trauer keine Krankheiten entstehen.“

Einzigartiges Konzept für verwaiste Familien

Das Wissen über eine Sache führt nicht unbedingt zu einem richtigen Handeln. Es hat lange gedauert, bis in Tannheim ein einzigartiges Konzept für verwaiste Familien entwickelt werden konnte. Wie immer spielen dabei auch Zufälle eine Rolle, wie Roland Wehrle, Geschäftsführer der Deutschen Kinderkrebsnachsorge, berichtet. Es sei die Familie des an Weichteilkrebs verstorbenen Jan-Felix gewesen, die mit einem Wunsch 2001 alles in Gang gesetzt hätten. Die Eltern des Jungen wollten an den Ort, an dem er gestorben war, zurückkehren. Sie wollten Tage und Rituale der Trauer in Tannheim erleben. „Doch das ging eigentlich nicht“, erklärt Wehrle. Damals gab es kein Angebot für Familien, die ihr Kind verloren haben.

Medienpreis für ein Buch der Kinderkrebsnachsorge

Inzwischen haben wie die Schmids fast 1000 Familien von dem Tannheimer Programm profitiert. Das Buch „Zurück ins Leben – wenn ein Kind stirbt“, das dieser Tage in Stuttgart im Haus der LBS von der „Deutschen Kinderkrebsnachsorge – Stiftung für das chronisch kranke Kind“ mit einem Medienpreis ausgezeichnet wurde, berichtet von diesen Geschichten. Es zeigt eindrücklich, was in Tannheim geleistet wird. Wie Eltern, aber auch die Geschwisterkinder, nach vier Wochen Reha wieder einigermaßen ihren Alltag bewältigen können. Denn Psychologe Künzel weiß: „Das Bild, dass Trauer irgendwann einmal endet, stimmt nicht. Sie bleibt ein Leben lang. Aber wenn man sie begleitet, verändert sie sich.“

Handwerkszeug fürs alltägliche Leben

Die Trauer brauche Orte, an denen man ihr mit Ritualen begegnen könne. „Hier lachen und weinen die Familien gemeinsam“, sagt Künzel. Sandra Schmid nickt zustimmend. „Hier konnten wir ins Leben zurückfinden. Wir haben dort gelernt, mit unserer Trauer zu arbeiten und sie anzunehmen. Man hat uns dort gewissermaßen das Handwerkszeug fürs alltägliche Leben mitgegeben.“ Auch sie als Mutter, konnte in diesem geschützten Bereich endlich loslassen und Kraft schöpfen.Damit ist die Familie Schmid für Roland Wehrle ein Paradebeispiel, das zeige, dass man 2001 in Tannheim den richtigen Weg eingeschlagen hat.

„Mit solchen Geschichten wollen wir auch die Politik und die Kostenträger wachrütteln“, sagt er, denn große Summen der Reha könnten nur über Spenden gedeckt werden. Das Besondere an dem Konzept in Tannheim funktioniert nach dem Prinzip vieler Selbsthilfegruppen, wie Sandra Schmid erklärt: „Man braucht mit den anderen Familien, die das gleiche Schicksal teilen, nicht viele Worte. Man fühlt sich verstanden und gut aufgehoben.“

Mit Geschichten die Politik wachrütteln

Ohne die Reha würde sie, ihr Mann Thomas sowie Erics Geschwister Sandra und Luc „nicht da stehen, wo sie heute stehen“. Mit beiden Beinen auf dem Boden. Mitten im Leben. „Es ist schön, zu sehen, dass auch wieder gute Dinge passieren“, sagt Sandra Schmid.

Aus unbeschreiblichem Leid ist eine Rückkehr geworden, die fast ebenso schwer zu erklären ist, wie schon Heinrich Heine wusste: „Anfangs wollte ich fast verzagen, und ich glaubt ich trüg es nie, und ich hab es doch getragen. Aber frag mich nur nicht, wie?“