Bekommen die Briten deutlich mehr Zeit, käme es zu neuen Komplikationen: Der Ausstiegskandidat müsste noch einmal an der Europawahl teilnehmen. In Brüssel will das keiner.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Bei allem politischen Chaos im Vereinigten Königreich zeichnet sich immer mehr ab, dass der für den 29. März angepeilte Ausstieg der Briten aus der EU verschoben wird. EU-Ratspräsident Donald Tusk, Gastgeber des EU-Gipfels, brachte bereits eine „deutliche Verlängerung“ ins Gespräch. In dieser Zeit sollten die Briten Gelegenheit bekommen, ihre Brexit-Strategie noch einmal gründlich zu überdenken und für parlamentarische Mehrheiten zu sorgen. Der irische Außenminister Simon Coveney schlug eine Verschiebung des Austritts um 21 Monate vor. Dann würden die Briten Ende 2020, wenn der laufende mehrjährige Finanzrahmen der EU endet, aussteigen. Doch es gibt auch ablehnende Stimmen aus den Mitgliedstaaten. Das Verschieben des Austrittsdatums müsste von allen 27 EU-Mitgliedern einstimmig beschlossen werden.

 

Zwei Verlängerungsszenarien

Im Gespräch ist zum einen eine „technische Verlängerung“ für London. In diesem Szenario würde das Austrittsdatum um wenige Wochen verschoben. Es setzt voraus, dass im britischen Parlament in den nächsten Tagen noch eine Mehrheit für den ausgehandelten Austrittsvertrag zustande kommt. Dann könnte innerhalb von etwa acht Wochen vom Vereinigten Königreich der Vertrag ratifiziert werden und der geordnete Austritt mit Verzögerung doch noch über die Bühne gehen.

Im zweiten Szenario kommt es zu keiner Mehrheit für den Austrittsvertrag im britischen Parlament. Womöglich kommt es zu Neuwahlen oder einem neuen Referendum. Beides braucht viel Zeit. Dabei würde der Ausstieg der Briten wohl um mehr als ein Jahr verschoben.

Je nachdem wie lang der Aufschub des Brexit ausfällt, hat dies Konsequenzen für die Europawahl, die vom 23. bis 26. Mai abgehalten wird. Sollte der Austritt der Briten bis zum Wahltag vollzogen sein, ist es unproblematisch. Dann nehmen die Briten –wie bislang immer geplant – nicht an den Europawahlen teil. Sollte der Aufschub länger ausfallen, müssen die Briten mitwählen. Das heißt, sie müssten noch Kandidaten aufstellen. Dafür muss die Entscheidung bis zum 12. April in London fallen. Das britische Europawahlgesetz sieht vor, dass bis zu diesem Termin die Wahl offiziell bekannt gegeben werden muss.

Wer drin ist muss wählen

Ursprünglich hatte es von EU-Seite geheißen, dass die Briten notfalls auch bis Ende Juni Mitglied der EU bleiben könnten, ohne an den Europawahlen teilzunehmen. Doch inzwischen wird es in Brüssel anders gesehen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk im Hinblick auf die Wahlen klar: „Sollte das Vereinigte Königreich dann die Europäische Union nicht verlassen haben, wird es rechtlich verpflichtet sein, diese Wahlen abzuhalten – in Einklang mit den Rechten und Pflichten aller Mitgliedstaaten, wie sie in den Verträgen niedergelegt sind.“

Der EU käme die Teilnahme der Briten an der Europawahl aber ungelegen. Zum einen gibt es hierfür politische Gründe, die der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament Guy Verhofstadt am Mittwoch deutlich ansprach: Es sei eine „Horrorvorstellung“, dass ein Staat, der früher oder später die EU verlasse, Abgeordnete nach Brüssel entsende. Die Wahlen würden durch das Brexit-Thema dann „gekapert“, man werde dann nicht mehr über die „richtigen Probleme und die Reformen reden, die wir in der EU benötigen“. Die Europäer wollen zudem nicht, dass der Ausstiegskandidat wieder mit 73 Abgeordneten in das Straßburger Parlament mit 751 Sitzen einzieht und dann an Entscheidungen mit Folgen für die ganze Wahlperiode beteiligt wird, wie etwa die Nominierung des nächsten Kommissionspräsidenten, die nächste Kommission sowie den mehrjährigen Finanzrahmen, der von 2021 bis 2027 reichen soll.