Viele Frauen fühlen sich Nachts unsicher. Ein Polizist verrät, wie Frauen sich bei Belästigungen schützen können – und was sie dabei besser lassen sollten.
Frauen, die nachts allein unterwegs sind, fühlen sich oft unsicher und wissen nicht, was sie in gefährlichen Situationen tun sollen. Um dagegen präventiv vorzugehen, hat die Polizei vor einigen Jahren den Vortrag „Sicher unterwegs“ konzipiert. „Das Ziel ist es, dass die Teilnehmerinnen am Schluss wissen: Wie kann ich mich schützen und wie kann ich gut aus der Situation rauskommen“, sagt Thomas Schembera, Präventionsbeamter der Polizei Baden-Württemberg.
Eingeladen worden ist der Hauptkommissar in Feuerbach vom Sozialdienst muslimischer Frauen (SmF). Den Vortrag hat er schon einmal für den Verein gehalten, und auch in Schulen ab der neunten Klasse ist er mit seinen Tipps zur Sicherheit unterwegs. „Viele haben schon schlechte Erfahrungen gemacht“, begründet er die Relevanz des Themas.
Frauen schildern eigene Erfahrungen
Das bestätigt sich gleich zu Beginn der gut besuchten Veranstaltung in den Räumlichkeiten des SmF in Feuerbach. Gleich mehrere Frauen erzählen von Situationen, in denen sie beleidigt oder belästigt wurden. Eine junge Teilnehmerin schildert, wie ein Mann sich in der S-Bahn zu ihr gesetzt und sie fotografiert und gefilmt hat.
Auch Esra Metin, Projektstandortleitung der SmF, teilt einen Vorfall mit der Gruppe. Ein Mann habe ihr vor einem Einkaufsladen vor die Schuhe gespukt und sie verflucht, weil sie ein Kopftuch trägt. „Ich war so schockiert, dass ich gar nicht wusste, was ich machen soll“, sagt sie. Die Gruppe ist sich einig, dass zum Beispiel komische Blicke oder Kommentare zum Kopftuch auch von anderen Frauen kommen würden, bei den meisten Vorfällen aber Männer die Täter seien.
Großes Interesse hatten die Teilnehmerinnen an rechtlichen Grundlagen: Was ist eine Beleidigung? Wo ist die Grenze zur Notwehr? Schembera sagt: „Es gibt einen Unterschied, was rechtlich gilt und was man empfindet.“ Die Übergänge seien dabei fließend. Bei beleidigenden Aussagen gelte: „Manche Dinge muss man dann aushalten, auch wenn man es nicht gut findet.“
Täter fotografieren ist erlaubt
Ein klares „Ja“ gibt es für das Fotografieren oder Filmen von Tätern, insofern es nur als Beweismaterial für die Polizei verwendet wird. Man solle aber auf sein Smartphone aufpassen und nicht vergessen: „Mit dem Handy kann man auch die Polizei rufen.“ Das Festhalten des Täters ist erlaubt, wobei man auch andere Optionen wie Hilfe holen und die Polizei rufen bedenken solle.
Einen Vorfall schnell zu melden, sei allgemein wichtig. Je früher man die Polizei ruft, desto wahrscheinlicher ist es, dass der mutmaßliche Täter tatsächlich konfrontiert werden kann. Denn, gibt der Polizist zu bedenken, Personenbeschreibungen seien leider oft unpräzise. Darum solle man sich besonders markante Züge merken.
Gesellschaftliche Verantwortung übernehmen
Schembera ist sich der Gründe bewusst, warum Beleidigungen, Belästigungen und schlimmere Vorfälle nicht gemeldet werden. Angst, keine mentalen Kapazitäten, Scham und der Gedanke „das bringt sowieso nichts“ werden von den Teilnehmerinnen genannt. Der Polizist rät, einen Begleitdienst zurate zu ziehen, wenn es mit einem Vorfall vor Gericht gehen sollte.
Doch auch klare Argumente, solche Vorfälle zu melden, gibt es. Eine Teilnehmerin spricht von einer „gesellschaftlichen Verantwortung“ und Schembera stimmt zu: „Das Anzeigen lohnt sich, denn solche Täter machen das nicht nur einmal.“
Auf dem Programm des Polizisten steht neben interessierten Nachfragen und einigen grundlegenden Informationen auch ein Rollenspiel mit den Teilnehmerinnen. Schembera spielt dabei einen Täter, der eine Frau in der Bahn belästigt. Die anderen Mitspieler der Szene dürfen erst einmal nicht eingreifen. Das fällt ihnen schwer. „Ich habe Angst verspürt, obwohl es ja nicht ich war“, sagt eine Teilnehmerin.
„Sicher unterwegs“: Tipps eines Polizisten
Durch die Übung konnten die Frauen gemeinsam mit dem Kommissar einige Tipps für solche brenzlichen Situationen zusammenstellen:
- so schnell wie möglich die Polizei rufen und auch damit drohen
- den/die Täter siezen, damit Außenstehende nicht von einem privaten Streit ausgehen
- laut und direkt andere um Hilfe bitten
- die eigenen Grenzen kennen und diese schnell und deutlich zeigen
- einen Sitz am Gang wählen, damit man aufstehen und gehen kann
- „Licht, Lärm, Leute“ beachten, wenn man sich der Situation entzieht
- eine Pfeife oder einen Taschenalarm dabei haben
- auf Beleidigungen nicht reagieren
- sehr laut „Stopp“ oder „Nein“ sagen (dabei auf Ton und Lautstärke achten)
- sich nicht selbst in Gefahr bringen, wenn man anderen hilft
Pfefferspray ist keine gute Idee
Pfefferspray empfiehlt Schembera nicht. Zwar sei es erlaubt, Tierabwehrsprays dabei zu haben und in einer Notwehr-Situation zu benutzen, aber es birgt Gefahren für einen selbst. Für die meisten ist der Umgang mit einem solchen Spray ungewohnt. Und: „Wer ein Spray dabei hat, der denkt oft nicht darüber nach, welche anderen Möglichkeiten man hat, um aus einer Situation zu entkommen.“
„Wichtig ist, dass eure Reaktion zur Situation und zu euch passt“, sagt Thomas Schembera. Dabei sei es wichtig, ein Gespür dafür zu haben, welches Handeln jetzt das richtige ist. Der Polizist gibt zu bedenken: „Jede Situation ist anders und jeder Täter ist anders. Pauschale Lösungen gibt es nicht.“
Sozialdienst muslimischer Frauen e.V.
Zum Verein
Der Sozialdienst muslimischer Frauen (SmF) wurde am 14. Februar 2016 von in Deutschland lebenden muslimischen Frauen gegründet. In Stuttgart-Feuerbach gibt es seit Ende 2019 einen Standort. Der Verein wird auf Projektbasis finanziert und setzt Angebote um, die für alle Menschen gedacht sind. Der Name bezieht sich auf die Gründerinnen, nicht die Zielgruppe, wie Vorstandsvositzende Aysun Pekal erklärt. Sie setzt sich dafür ein, den Verein in der Öffentlichkeit und bei der Politik bekannter zu machen.
Andere Projekte
Der Standort in Stuttgart hat sich damals gegründet, um Menschen vor Ort zu haben für ein bundesweites Patenprojekt des Vereins. Die Paten unterstützen ihre sogenannten „Mentis“ im Alltag, zum Beispiel bei Behördengängen, beim Sprache lernen oder der Jobsuche. Andere Projekte sind selbstgemachte Herzkissen für Frauen mit Brustkrebs, die nach einer Operation benötigt werden, und das Präventionsprogramm „Frauen stärken Frauen gegen Radikalisierung“. Der Verein bietet zudem seit Ende 2021 religions- und kultursensible Beratungen an.