Die Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und die CDU-Politikerin Rita Süssmuth haben beim Nachtschicht-Gottesdienst für eine konstruktive Streitkultur in der Gesellschaft geworben.

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, steht auf jeder Medikamentenpackung. Im Falle von Religion und Politik sei der Pfarrer der richtige Ansprechpartner, haben sich die Macher des Nachtschicht-Gottesdienstes wohl gedacht. Unter dem Motto „Nebenwirkung. Wen befragen wir zu Risiken von politischer und religiöser Bildung?“ hat Pfarrer Ralf Vogel seine Gäste am Donnerstagabend gefragt, wie gefährlich es ist, religiöse und politische Botschaften zu vermischen. Eingeladen hatte er dazu zwei Frauen, die wissen, wovon sie sprechen: Rita Süssmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin und Bundesministerin, die zwölf Jahre lang Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken war, und Susanne Breit-Keßler, Münchner Regionalbischöfin und Autorin.

 

„Religiöse Bildung sollte bereits im Vorschulalter beginnen“, sagte Süssmuth. Wichtig sei, dass Religionsunterricht das Leben erschließe und versuche, die Fragen der jungen Generation zu beantworten, stattzu indoktrinieren.

„Es ist wichtig, andere Meinungen anzuerkennen“

Sie selbst habe als Kind leider vor allem den strafenden Gott kennengelernt. Breit-Keßler erzählte, sie habe religiöse Bildung schon im Kindergarten als bestärkend erlebt. Mit echter Bildung verbinde sie deshalb nur positive Nebeneffekte. Sie betonte, wie wichtig es sei, andere Meinungen anzuerkennen – religiöse Indoktrination sei ein Zeichen der Schwäche. „Statt uns einzumischen und alles besser zu wissen, sollten wir das Tolle in der Welt fördern und für Probleme Lösungen auf der Basis unseres Glaubens suchen“, sagte sie.

Indoktrination gebe es ja auch politisch, hakte Pfarrer Vogel ein. Er habe den Eindruck, es fehle „oft an Mut, die eigene Meinung zu sagen.“ Auch hier wünsche er sich mehr Streitkultur. Süssmuth betonte, dass nicht alleine die Parteien für die Gestaltung der Gesellschaft verantwortlich seien, sondern auch ein öffentlicher Diskurs stattfinden müsse. „Ohne kontroverse Diskussionen und unterschiedliche Meinungen gibt es keine Entwicklung und unsere Demokratie stirbt.“ Dies gelte für Politik und Religion gleichermaßen. Breit-Keßler sekundierte: „Auch in der Kirche ist mehr Streitkultur vonnöten.“ Diskussionen über strittige Themen wie etwa Homosexualität innerhalb der Kirche müssten ausgetragen werden, selbst wenn man sich nur auf einen Dissens einigen könne. Ebenso wichtig sei aber, dass jeder Streit ein Ende habe und nicht zur gegenseitigen Vernichtung führe. Süssmuth ergänzte, sie halte es mit Sokrates, denn sie habe im Bundestag gelernt: „Der andere kann auch Recht haben.“

Außergewöhnliche Gottesdienste seit 15 Jahren

Obwohl der Nachtschicht-Gottesdienst ausnahmsweise an einem Wochentag stattfand, waren fast alle Plätze in der Andreaskirche in Obertürkheim belegt. Bereits seit 15 Jahren veranstaltet der Pfarrer Ralf Vogel in den ersten Monaten eines neuen Jahres diese außergewöhnlichen Gottesdienste, in denen an Stelle einer Predigt ein Gespräch mit prominenten Gästen steht.

In diesem Jahr stehen sie unter dem Motto „Bildung“. Unterstützt wird Ralf Vogel von einem Team junger Freiwilliger, die auch aktiv an der Gestaltung der Gottesdienste mitwirken: In szenischen Elementen verknüpfen sie zum Beispiel Bibelgeschichte mit aktuellem Geschehen. Musikalisch untermalt wurde der Gottesdienst diesmal von den Trägern des Jazzmusikpreises Baden-Württemberg Patrick Bebelaar und Frank Knoll.