Romantische Reiseform oder Schlafraub auf Rädern? Am Nachtzug scheiden sich die Geister. Trotz der Konkurrenz durch günstige Flüge haben die Schlafwagen der Bahn überlebt - und sogar eine Zukunft.

Berlin/Wien - Die einen machen mit Nachtzügen Verluste und verabschieden sich von ihnen. Die anderen betreiben Schlafwagen profitabel und wollen ihr Angebot erweitern. Das passt auf den ersten Blick nicht zusammen. Und doch ist es so.

 

Im Dezember wird die Deutsche Bahn ihre City Night Line (CNL) einstellen, die zurzeit mit Liege- und Schlafwagen noch auf elf Strecken unterwegs ist, etwa von Amsterdam nach München und Innsbruck, von Hamburg und von Berlin nach Zürich oder von Zürich über Frankfurt nach Prag. Die drei verlustreichsten Verbindungen, darunter Hamburg und Berlin nach Paris, waren schon 2014 gestrichen worden.

„An den Wochenenden und zur Hauptreisezeit sind wir fast immer ausgebucht“, erzählt der Schaffner von Zug CNL 471, der die Strecke Berlin-Zürich seit Jahren fährt. An Wochentagen blieben die Kunden dagegen vermehrt aus. Geschäftsreisende meiden die Nachtzüge. Besonders frühe und späte Flugverbindungen machen der Bahn Konkurrenz. Außerdem sind die in die Jahre gekommenen Wagen und durchgelegene Matratzen gute Gründe, sich Alternativen zu suchen.

Die Deutsche Bahn hat die Nachtzugflotte in den vergangenen Jahren vernachlässigt. An den Wagen hat der Konzern nur noch das Nötigste repariert und auch der Service wurde zunehmend schlechter. So verkehren die Nachtzüge seit 2014 ohne Speisewagen. In einem an die 1980er Jahre erinnerndes Mini-Bistro gibt es noch ein paar Getränke und morgens ein sehr bescheidenes Frühstück.

Ein Abschied auf Raten, der mit dem Fahrplanwechsel am Jahresende endgültig wird. Für die Nostalgiker unter den Reisenden ist jedoch Rettung in Sicht. Denn die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) wollen den Nachtzugverkehr in Deutschland weiterführen. Anders als die Deutschen machen sie mit ihren Nachtreisezügen seit Jahren so gute Geschäfte, dass sie jetzt sogar den Ausbau vorantreiben - mit zusätzlichen aufgemöbelten oder ganz neu gestalteten Schlaf- und Liegewagen.

„Für den Nachtzug ist noch nicht aller Tage Abend“, frohlockt der Grünen-Bahnpolitiker Matthias Gastel. Er hat aus vertraulichen Quellen eine vorläufige Aufstellung der Nachtzugverbindungen im kommenden Jahr erhalten. Demnach haben die ÖBB täglich Trassen reserviert für die Strecken Düsseldorf-Frankfurt-München-Innsbruck, Hamburg-Berlin-Frankfurt-Basel und Hamburg-München-Innsbruck.

Auf mindestens sechs weiteren Linien mit Teilabschnitten in Deutschland fahren die ÖBB wie bisher, möglicherweise kommen noch Nachtzüge von München nach Italien hinzu. Die Deutsche Bahn steuerte bisher Mailand, Venedig und Rom an. Bahnexperte Gastel hofft, dass die ÖBB „einen hochwertigen Service im Zug anbieten“. Das Know-how im Nachtzuggeschäft hätten sie jedenfalls.

Samstagmorgen, Zug CNL 471 hält um 7 Uhr in Basel, die Türen öffnen sich. Die Kinder wirken ausgeschlafen, manche haben noch Reste des Marmeladenbrötchens im Gesicht. Einige Erwachsene wirken erholt, es sind die Stammkunden. Die anderen gähnen hemmungslos. Der Blick in ihr Gesicht verrät: Es könnte ihre letzte Fahrt in einem Nachtzug gewesen sein.