Der Epilog zur Schlichtung um Stuttgart 21 ist abgehakt. Für die Koaltition könnte es anstrengend werden, die Ergebnisse zu interpretieren.

Stuttgart - Die Überraschung, mit der Heiner Geißler die festgefahrene Debatte über die Ergebnisse des Stresstests aufgemischt hat, ist verflogen. Jetzt beginnen die Beteiligten, sich mit der Kompromissidee inhaltlich auseinanderzusetzen. Man nehme den Vorschlag ernst, ließ die grün-rote Landesregierung wissen, und werde ihn "in verkehrlicher, finanzieller und planungsrechtlicher Hinsicht" prüfen. Das ist eine rhetorische Klammer, die die beim Thema Tiefbahnhof auseinanderstrebenden Koalitionsparteien zusammenhält. "Die Landesregierung will mit der Deutschen Bahn über das weitere Vorgehen sprechen." So heißt es weiter.

 

Die SPD versteht darunter, dass die Bahn prüfen soll, ob der Geißler-Vorschlag "im Rahmen der Planfeststellungen machbar ist", wie Nils Schmid sagt. Für den Vizeministerpräsidenten muss "die neue Variante auf der bestehenden Planung aufsetzen", denn "man wird keine neuen Planfeststellungen machen". Man habe besprochen, dass Ministerpräsident Kretschmann "in dem Sinne auf die Bahn zugehen wird". Geprüft werden solle zudem, ob die Hoch-Tief-Kombi "innerhalb des Vertragswerkes mit den Projektpartnern" möglich ist, so Schmid. Es soll nämlich keine neuen Verträge mit dem Bund, der Stadt und der Region Stuttgart geben müssen. Und über Geld ist bis hierhin noch gar nichts gesagt. Da habe Geißler ja nur Behauptungen aufgestellt. "Der Finanzierungsrahmen ist völlig ungeklärt", moniert Schmid.

Kein offener Schlagabtausch

Demgegenüber fühlte sich der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann aufgefordert, sein Haus prüfen zu lassen, ob Geißlers Ideen verkehrlich vorteilhaft, planungsrechtlich machbar und finanziell darstellbar sind. Gleich am Montag würden sich die Experten ans Werk machen, sagte ein Sprecher Hermanns. Sie könnten anknüpfen an alte Pläne; Geißlers Variante war ja schon einmal im Gespräch. Es spricht also einiges dafür, dass die Ergebnisse der beiden parallelen Prüfvorgänge erneut vom Koalitionsausschuss zur rhetorischen Übereinstimmung gebracht werden müssen.

Schon bei der Präsentation der Stresstest-Ergebnisse am vergangenen Freitag hatte der Konflikt der Regierungspartner kuriose Blüten getrieben. In einem Zeit und Nerven raubenden Prozess hatten sich Verkehrsminister Hermann und Finanzstaatssekretär Ingo Rust (SPD) im Vorfeld der Sitzung im Stuttgarter Rathaus darauf geeinigt, dass sie dem Streit zwischen der Bahn und dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart21 schweigend folgen würden; zumindest vor laufenden Fernsehkameras sollte kein offener Schlagabtausch der Koalitionäre erkennbar werden. Doch während die beiden Partner scheinbar einträchtig beieinander saßen, ließ Hermann eine bemerkenswerte Erklärung verteilen.

Ärger beim Koalitionspartner

Auf sechs Seiten verkündete er zwar, dass die Landesregierung das von der Schweizer Gutachterfirma SMA vorgelegte Testat anerkenne. Damit sei klar, dass der neue Tiefbahnhof in der Spitzenstunde zwischen 7 und 8 Uhr morgens auf "wirtschaftlich optimale" Weise 49 Zugankünfte bewältigen könne. "Nach Ansicht des grünen Teils der Koalition und des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur (MVI)" werde darin aber "die von Schlichter Dr. Heiner Geißler geforderte ,gute Betriebsqualität' nicht erreicht", ließ Hermann verlauten. Schon jetzt sei der geplante Tiefbahnhof zu klein, die S-Bahn bekomme Probleme, regelmäßig vorkommende Störfälle seien nicht berücksichtigt. Der Stresstest, monierte der Minister, sei also "nur mit erheblichen qualitativen Einschränkungen bestanden".

Hermanns Koalitionspartner Rust konnte seinen Ärger über den unabgesprochenen Vorstoß des Ministers nur mühsam verbergen. Der Emissär der Sozialdemokraten habe versucht, sich zu beherrschen und weiterhin zu schweigen, hieß es später aus SPD-Kreisen. Hinter den Kulissen aber soll es mächtig gekracht haben. Vor allem SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, ein Befürworter der ersten Stunde von Stuttgart21, könne die Alleingänge des Verkehrsministers kaum noch ertragen.

"Mit zwei Regierungen zu tun"

Auch Schlichter Heiner Geißler erwartet weitere Unbill für Grün-Rot. Der Wahlkampf bis hin zu einer möglichen Volksabstimmung im Herbst werde "fürchterlich", prognostizierte der CDU-Politiker. Am Ende könne es nur Sieger und Verlierer geben - "und all das wird auf dem Rücken der Bahn ausgetragen". Damit sprach er Volker Kefer aus dem Herzen. Auch der Technikvorstand des Staatskonzerns appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Landesregierung. S21 sei ein Projekt, das vom Land gewollt worden war. Zwar wisse er, dass sich die Vorzeichen seit der Wahl im März verändert hätten. Unerträglich sei aber, dass die Bahn es jetzt "mit zwei Regierungen" zu tun habe.

Hintergrund: Welche Aufträge die Bahn vergeben hat

Volumen Das Auftragsvolumen umfasst etwa 750 Millionen Euro. Die Bahn sagt, dass damit ein Viertel der gesamten für Stuttgart 21 notwendigen Aufträge vergeben sei. Den Zuschlag erhielt eine Bietergemeinschaft um die Porr-Gruppe. Das ist ein österreichisches Unternehmen mit Niederlassung in München. Die Bahn betont, dass sie mit diesen Vergaben weiterhin im Kostenrahmen von insgesamt 4,1 Milliarden Euro liege.

Fildertunnel Vergeben worden ist zum einen der Fildertunnel (Planfeststellungsabschnitt 1.2). Er ist 9,5 Kilometer lang und verbindet den Tiefbahnhof mit dem Flughafen. Gebaut werden zwei eingleisige parallel verlaufende Tunnelröhren, die regelmäßig mit Querstollen verbunden werden. Weil die Bahn beim Eisenbahnbundesamt eine alternative Bautechnik beantragt hat, steht die finale Zustimmung der Aufsichtsbehörde dazu noch aus.

Ober-/Untertürkheim Zum anderen sind die Tunnels nach Ober- und nach Untertürkheim (Planfeststellungsabschnitt 1.6a) vergeben worden. Sie haben eine Gesamtlänge von sechs Kilometern, unterqueren Gablenberg und teilen sich nach Unterquerung des Neckars in Richtung Abstellbahnhof Untertürkheim/Bad Cannstatt sowie nach Obertürkheim. Dort schließt der Tunnel an die bestehende Strecke nach Geislingen an.