Boris Johnson soll versichert haben, dass die Einhaltung des Brexit-Vertrags in Sachen Nordirland nie seine Absicht war. Kommt es zum Handelskrieg zwischen Großbritannien und der EU?

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Die britische Regierung hat deutlich gemacht, dass ihr das Angebot der EU zur Neuinterpretation der Brexit-Verträge von dieser Woche nicht weit genug geht. Sie verlangt weiterhin „fundamentale“ Änderungen des sogenannten Nordirland-Protokolls. Das Protokoll ist Teil des Brexit-Vertrags. In ihm vereinbarten London und Brüssel, die innerirische Grenze post Brexit für den Güterverkehr offenzuhalten, indem sie Nordirland faktisch dem EU-Binnenmarkt zuschlugen. Die in der Folge erforderlichen Kontrollen von Warentransporten aus dem Rest des Vereinigten Königreichs nach Nordirland hatten diesen Warenfluss aber erheblich gehemmt.

 

Nach Protesten in Nordirland hatte die EU am Mittwoch eine weitgehende Lockerung der Kontrollen angeboten. Der britische Brexit-Minister Lord Frost besteht aber darauf, dass dem Europäischen Gerichtshof – entgegen der Vereinbarungen – keine Entscheidungsbefugnis in Nordirland zukommen soll. Frost ließ keinen Zweifel daran, dass die britische Regierung das Nordirland-Protokoll für „unhaltbar“ betrachtet, solange der EuGH in Nordirland etwas zu sagen habe. Umgekehrt lehnte EU-Vize-Kommissionschef Maros Sefcovich die Idee eines gemeinsamen Schiedsgerichts für Nordirland in Binnenmarkt-Streitigkeiten ab.

Lässt Boris Johnson es zum „großen Knall“ kommen?

Lord Frost hat bereits damit gedroht, das Nordirland-Protokoll außer Kraft zu setzen. Im schlimmsten Fall könnte ein solcher Akt einen Handelskrieg zwischen Großbritannien und der Europäischen Union nach sich ziehen. In London herrscht derweil Unklarheit darüber, ob Premierminister Boris Johnson einlenken wird, oder ob er es zum „großen Knall“ kommen lässt. Die Londoner Times vermutete, die EU bereite, um einen Kompromiss zu erzielen, eine Begrenzung des EuGH-Einflusses vor. Als Vorbild könnten Arrangements zwischen der Schweiz und der EU dienen.

Andere Beobachter glauben, dass die EU nicht abrücken wird von ihrer Position – und dass Johnson sich längst entschieden hat für einen neuen Eklat an der Brexit-Front. Dazu berichtete gestern der nordirische Unterhaus-Abgeordnete Ian Paisley Jr., Johnson habe ihm im Herbst 2019 „persönlich versichert“, dass er das Nordirland-Protokoll „in Stücke reißen“ werde, sobald der Brexit vollzogen sei.

Dublin warnt vor Verträgen mit London

Damit bestätigte der unionistische Politiker, was schon Johnsons ehemaliger Chef-Berater Dominic Cummings, das notorische „Gehirn der Brexit-Kampagne“, erklärt hatte: Nämlich dass es schon immer Johnsons Absicht gewesen sei, sich des Nordirland-Protokolls „wieder zu entledigen“, sobald er im Dezember 2019 die Unterhauswahlen gewonnen und Oppositionsführer Jeremy Corbyn „plattgemacht“ habe.

Cummings und Paisleys Enthüllungen haben zu scharfen Reaktionen, vor allem in der Republik Irland, geführt. Dublins Vize-Regierungschef Leo Varadkar meinte, wenn es wahr sei, was Cummings gesagt habe, sei das „äußerst alarmierend“. Dann müsse man nämlich davon ausgehen, dass die britische Regierung seinerzeit „bewusst in böser Absicht“ gehandelt habe – weshalb man die Welt warnen müsse vor voreiligen Vertragsabschlüssen mit London, solange die dortige Regierung „Vereinbarungen nicht einhält und sich an Verträge, die sie unterzeichnet hat, nicht gebunden fühlt“.

Viele Geschäftsleute in Nordirland drängen die britische Regierung nun, bei den jetzt beginnenden Verhandlungen eine gütliche Einigung mit der EU zu erzielen. Ein Sprecher der nordirischen Sektion des britischen Handelsverbandes „Logistics UK“ erklärte, die EU habe „unsere Erwartungen übertroffen“ mit ihrem neuen Angebot. Sefcovich, der Nordirland im September bereiste, habe „auf uns gehört“.