Albert Einstein hat sie vor 100 Jahren vorhergesagt, aber sie sind schwierig zu messen. Nun haben Physiker erstmals registriert, wie Gravitationswellen den Raum stauchen und strecken. Die Wellen sind bei der Kollision von zwei Schwarzen Löchern entstanden.

Stuttgart - Seit Tagen gingen unter Wissenschaftlern Gerüchte um, verbreitet über E-Mails, Twitter und andere Kanäle. Und am heutigen Donnerstag wurden sie in vollem Umfang bestätigt: Einer internationalen wissenschaftlichen Kollaboration unter Leitung der USA ist es gelungen, endlich, nach fast genau hundert Jahren, die letzte große Vorhersage Albert Einsteins zu bestätigen, die er aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie abgeleitet hat: Das Weltall wird von Wellen der Schwerkraft, sogenannten Gravitationswellen, durchzogen. Änderungen der Schwerkraft, ausgelöst durch gewaltige kosmische Katastrophen, bewegen sich wie Wellen fort. Und seit neuestem lassen sich diese sehr schwachen Wellen auch messen. Den Astronomen stehen künftig außer den Licht-, Radio- und anderen Wellen aus dem All auch Gravitationswellen für astronomische Untersuchungen zur Verfügung.

 

Bekannt gegeben wurde diese Erkenntnis um 16.30 Uhr in einer seit Tagen angekündigten Pressekonferenz im nationalen Presseclub der USA in Washington. Forscher der internationalen Ligo-Kooperation berichteten, sie hätten am 14. September letzten Jahres ein Gravitationswellensignal gemessen und seitdem sorgfältig überprüft. Die Abkürzung Ligo steht für Laser-Interferometer Gravitational-Wave Observatory, ein gewaltiges, hochtechnisches Messinstrument in den USA, gebaut einzig zum Zwecke der Gravitationswellenforschung. Schon zwei Mal in den vergangenen Jahren glaubten Wissenschaftler, solche Wellen beobachtet zu haben; beide Male erwies sich die Meldung als falsch. Der eine Fall liegt knapp zwei Jahre zurück: Im März 2014 wollten Astrophysiker mit dem Bicep2-Teleskop in der Antarktis ein Signal beobachtetet haben. Es stellte sich heraus, dass sie sich durch Staub hatten verwirren lassen.

Belege für die Gravitationswellen gab es bisher nur indirekt. Das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin erinnert in einer Mitteilung aus Anlass der Pressekonferenz in Washington an die Astronomen Joseph Taylor und Russell Hulse, die 1974 zwei massereiche Sterne untersucht hatten, die sich umkreisen und sich dabei immer näher kommen. Die Sterne verlieren durch ihr Duett Energie – und der Energieverlust entspricht genau dem, was der Tanz in Form von Gravitationswellen abstrahlen müsste. Die Entdecker haben für ihre Erkenntnis 1993 den Physiknobelpreis bekommen.

Einstein hatte es gewusst, aber auch gezweifelt

Grundlage für die Annahme, dass es Gravitationswellen gibt, ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die er im November 1915 veröffentlicht hat. Demnach ist die Schwerkraft nichts anderes als eine Krümmung des Raumes. Große Massen wie Sterne oder Schwarze Löcher „verbiegen“ den Raum, vergleichbar einem schweren Gewicht, das eine elastische Unterlage eindrückt. Ein anderer massereicher Körper, wie etwa ein Planet, rollt in diese Raumkrümmung – die Vertiefung der elastischen Unterlage – hinein, so dass es für uns Menschen aussieht, als würde er angezogen. Wissenschaftlich präziser gesagt: In der Nähe massereicher Objekte verändern sich Entfernungen; die Maße des Raums ändern sich.

Wenn nun zwei Sterne oder andere Objekte sich umkreisen, wenn ein Stern explodiert oder wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen wie in der Bildergalerie, dann verändert sich das Schwerkraftfeld, das sie umgibt, mehr oder weniger drastisch. Diese Veränderung breitet sich aus wie eine Welle aufeinander folgender Raumverkürzungen und Raumdehnungen.

Ob es Gravitationswellen überhaupt gibt, darüber war sich nicht einmal Albert Einstein selbst im Klaren. Noch im Februar 1916 war er sicher, dass seine Allgemeine Relativitätstheorie Gravitationswellen ausschließe. Im Juni des gleichen Jahres veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er seine Meinung geändert hatte. Zwanzig Jahre später äußerte er erneut Zweifel, räumte aber auch diese wieder aus.

„Eine wissenschaftliche Mondlandung“

Doch nun sind die Ligo-Forscher sicher: Sie haben die Gravitationswellen aufgefangen, die bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher, 1,3 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt, ausgesandt worden sind. Der Forscher David Reize und die Ligo-Sprecherin Gabriela Gonzáles berichteten ausführlich: Die beiden Schwarzen Löcher hatten Massen von 29 und 36 Sonnenmassen, zusammengepresst auf einen Raum von rund 150 Kilometer Durchmesser. Sie umkreisten sich und kamen sich dabei immer näher. Schließlich verschmolzen sie zu einem Schwarzen Loch mit 62 Sonnenmassen. Energie im Umfang von drei Sonnenmassen wurde als Gravitationswellenenergie abgestrahlt.

Ligo besteht aus zwei Observatorien, 3000 Kilometer voneinander entfernt in Hanford, Washington, und Livingston, Louisiana. Jedes Observatorium ist eine L-förmige Konstruktion aus zwei vier Kilometer langen Vakuumröhren, in denen Laserstrahlen hin- und her gespiegelt werden. Die Strahlen sind so eingestellt, dass sie sich normalerweise im Eckpunkt des L treffen und dabei gegenseitig auslöschen. Verändert sich aber die Länge eines der L-Arme, stimmt diese Einstellung nicht mehr, und die Strahlen löschen sich nicht aus. So lassen sich sehr kurze Längenänderungen messen. Ligo erkennt Längenänderungen, die einem Zehntausendstel des Durchmessers eines Atomkerns entsprechen, genauer gesagt, des Durchmessers eines Protons. Rollt eine Gravitationswelle durch einen der Ligo-Arme – und zur Bestätigung, dass es sich nicht um eine technische Störung handelt, durch den entsprechenden Arm im 3000 Kilometer entfernten Pendant –, dann verändert sich die Länge dieses Arms, und im Eckpunkt des L blitzt ein Signal auf.

Im aktuellen Fall kam das Signal zuerst in Livingston an und sieben Tausendstelsekunden später in Hanford. Da Gravitationswellen im Bereich des menschlichen Hörens schwingen, war das Signal als kurzes Zwitschern im Rauschen aus dem All zu hören. „Es war das erste Mal, dass das Universum zu uns gesprochen hat“, sagte Reize begeistert. „Es war eine wissenschaftliche Mondlandung.“ Alles an der Messung entsprach den Vorhersagen aus Simulationen der Allgemeinen Relativitätstheorie: die Form des Signals, die Dauer, seine Stärke.

Eine neue Ära der Astrophysik bricht an

Ligo ist nicht das einzige Observatorium, das nach Gravitationswellen sucht, aber das weltweit größte. Ein weiteres mit dem Namen Virgo mit zwei Armen von je drei Kilometern steht bei Pisa, und die Versuchsanlage Geo600 mit zwei 600 Meter langen Armen steht bei Hannover. Beide sind Teil der „Ligo Scientific Collaboration“ (LSC) und somit an den aktuellen Ergebnissen beteiligt. In Zukunft, so Gonzáles, werden sie gemeinsam lauschen, zusammen mit dem geplanten Ligo India und der japanischen Anlage Kagra.

Die Frage „Warum Gravitationswellenforschung?“ beantwortet ein aktueller Artikel im Fachmagazin „Nature“ (hier in deutscher Übersetzung). Neben der Entwicklung hoch präziser Lasertechnik erwarten die Forscher Antworten auf Grundlagenfragen zur Physik Schwarzer Löcher, zu Sternexplosionen, zur Ausdehnung des Universums und anderem. Mit Gravitationswellen eröffnen sich der Astronomie neue Einblicke ins All, denn im Unterschied zu Licht und anderen elektromagnetischen Wellen können sie sogar aus den dunklen Anfangszeiten des Universums nach dem Urknall zu uns dringen. So wie die Röntgenastronomie den Blick in bis dahin unbekannte Bereiche des Alls möglich gemacht hat, könnten Gravitationswellen das Bild des Universums erweitern.

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