Deutsche Forscher aus Hannover und Berlin haben zu der Entdeckung der Gravitationswellen beigetragen. Bruce Allen, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik beschreibt, wie seine Mitarbeiter das entscheidende Signal auffingen.

Hannover/Stuttgart -

Zu der Entdeckung der Gravitationswellen haben auch Forscher beigetragen, die am deutschen Detektor GEO600 am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und Hannover arbeiten. Das Institut ist aktiv an der Suche mit Ligo (Laser Interferometer Gravitationswellen Observatorium) beteiligt. Tatsächlich haben zwei Mitarbeiter in Hannover die Gravitationswellen sogar zuerst erspäht, wie der geschäftsführende Institutsdirektor Bruce Allen im Interview erläutert

 
Herr Allen, wann schlug der Detektor an?
Wir hatten unglaubliches Glück. Das Signal wurde am 14. September 2015 aufgefangen, das war vier Tage vor dem Ende des sogenannten Engineering-Runs, mit dem das System auf Herz und Nieren geprüft und kalibriert wird, bevor die eigentlichen Messungen beginnen. Ligo war komplett einsatzfertig, und man hätte die Daten in dieser Nacht gar nicht aufnehmen müssen. Als der Detektor anschlug, war es 3 Uhr morgens in Hanford und 5 Uhr morgens in Livingston. Aber in Deutschland war es schon mittags. Daher waren die ersten, die dieses Signal bemerkt haben, zwei Wissenschaftler meiner Gruppe in Hannover. Die beiden hielten es zunächst für einen künstlichen Test – das Signal war einfach zu gut! Aber wir haben das dann untersucht, und es hatte definitiv kein Test stattgefunden.
Und was haben Sie genau beobachtet?
Wir haben die letzten vier Umläufe von zwei Schwarzen Löchern gesehen, bevor sie miteinander verschmolzen sind. Das dauerte knapp eine Viertelsekunde.
Warum nur die letzten vier Umläufe?
Die Schwarzen Löcher haben sich dabei immer schneller umkreist. Erst in den letzten vier Umläufen erreichten sie dabei eine Frequenz, für die Ligo empfindlich ist.
Wie misst man so etwas?
Ligo ist eine Art Antenne aus zwei rechtwinklig zueinander angeordneten, jeweils vier Kilometer langen Armen. Gravitationswellen stauchen und strecken diese Arme – allerdings nur um winzige Beträge. Mit Hilfe eines ausgeklügelten Lasersystems lassen sich noch kleinste Längenänderungen in den Antennenarmen nachweisen. Die verschmelzenden Schwarzen Löcher haben die Arme um maximal zwei Attometer gestaucht und gestreckt, das sind zwei Millionstel Millionstel Millionstel Meter – rund 1000 Mal weniger als der Durchmesser des Wasserstoffatomkerns.
Die Entdeckung wurde mehrfach angekündigt – später erwies sich das als nicht haltbar. Woher wissen Sie, dass es sich diesmal wirklich um Gravitationswellen handelt?
Zunächst einmal ist Ligo ein Instrument, das Gravitationswellen direkt messen kann – im Gegensatz zu indirekten Suchmethoden. Aber vor allem haben wir unser Messergebnis sehr sorgfältig untersucht. Monatelang haben wir mit verschiedenen statistischen Methoden überprüft, ob sich ein derartiges Signal zufällig ergeben kann. Das Ergebnis: Wir müssten mindestens 200 000 Jahre warten, damit der Zufall uns so einen Streich spielt. Mathematisch ausgedrückt liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Fehlalarm bei eins zu fünf Millionen. Physiker sprechen von einer Signifikanz von 5,1 Sigma. Das überzeugt uns vollkommen, das wir ein echtes Signal aufgefangen haben. Im Übrigen haben die beiden Detektoren exakt dasselbe Signal gemessen, mit einer Verzögerung von sieben Millisekunden. Das passt zu der Zeit, die eine Gravitationswelle von einem Detektor zum anderen benötigt. Wir haben die Analyse in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung zusammengetragen, die sich dem Urteil von Fachkollegen stellen musste, bevor wir an die Öffentlichkeit gegangen sind.
Was hat die Analyse des Signals ergeben?
Die beiden Schwarzen Löcher hatten 29 beziehungsweise 36 Mal die Masse unserer Sonne. Das verschmolzene Schwarze Loch hat aber nur 62 Mal die Masse unserer Sonne, also drei Sonnenmassen weniger als die Summe der einzelnen Schwarzen Löcher. Das bedeutet, nach Einsteins Masse-Energie-Äquivalenz wurden drei Sonnenmassen in weniger als einer Viertelsekunde in Form von Gravitationswellenenergie ins All abgestrahlt. Damit war das verschmelzende System für kurze Zeit leistungsstärker als alle Sterne im Universum zusammen!
Wo fand dieses gewaltige Ereignis statt?
In irgendeiner Galaxie, rund 1,3 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit nur zwei Detektoren können wir die Richtung leider nicht genau bestimmen, dazu benötigt man mindestens einen dritten Detektor. Mit der Entfernung des Ereignisses hatten wir übrigens auch Glück: Ligo kann noch Signale aus 3 Milliarden Lichtjahren Entfernung auffangen, aber die sind dann viel schwerer eindeutig nachzuweisen. Dieses Ereignis war viel näher, das Signal war entsprechend klar und deutlich.
War von dem Ereignis sonst nichts zu sehen? Haben andere Astronomen Spuren der Fusion gefunden?
Nein, das kann man auch nicht. Ein Doppelsystem aus zwei Schwarzen Löchern kann man ausschließlich über seine Gravitationswellen beobachten, es strahlt keinerlei Licht aus. Tatsächlich gab es bis zur Entdeckung dieses Signals keinerlei Beleg, dass es wirklich Doppel-Schwarze-Löcher gibt. Das aufgefangene Signal deckt sich jedoch genau mit der Erwartung. Das heißt, wir haben nicht nur die Existenz von Gravitationswellen bewiesen, sondern auch die von Doppelsystemen. Zwei Entdeckungen auf einen Streich!
Haben Sie weitere Signale aufgefangen?
Wir haben viel mehr Daten aufgezeichnet als die 16 Tage, über die wir jetzt berichten. Was ich mit Sicherheit sagen kann: Dieses Ereignis ist das erste von vielen, die kommen werden.
Das bedeutet auch, es ergeben sich ganz neue Beobachtungsmöglichkeiten?
Ja, das ist mit Sicherheit der Beginn einer neuen Ära in der Astronomie. Man sagt gerne, dass ein neues Fenster zum Universum geöffnet wird. Dieses Bild trifft es nicht. Ich würde sagen, wir haben eine Mauer eingerissen! In jedem Fall ist dieses Ergebnis eines der wichtigsten in der Physik der vergangenen Jahrzehnte.

Wer alles zu dem weltweiten Netz der Entdecker gehört

Ligo
Zu Ligo (Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium) gehören zwei Detektoren an den Standorten Livingston, Louisiana, und Hanford, Washington (USA). Gemeinsam spürten sie das Erzittern der Raumzeit auf, das von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern verursacht wurde. Die Fusion fand vor 1,3 Milliarden Jahren statt.

GEO600
Der Detektor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Berlin wird in Zusammenarbeit mit der Leibniz-Universität und Partnern aus Schottland und England betrieben.

Virgo
Der neue Detektor auf dem Gelände des Europäischen Gravitationswellen-Observatoriums (EGO) in Santo Stefano a Macerata (Cascina) geht demnächst in Betrieb.