Mit dem Weltcup-Finale in Östersund hat für die deutschen Biathleten eine neue Zeitrechnung in der Nachwuchsarbeit begonnen. Bundestrainer Zibi Szlufcik will an einigen Stellschrauben drehen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Sturla Holm Lägreid hat das Duell um den Gesamtweltcup gegen Johannes Thingnes Bö knapp verloren. Im Massenstart kam der Norweger beim Weltcup-Finale in Östersund auf Platz acht, es reichte nicht, um den zwölfmaligen Weltmeister abzufangen – Bö wurde Dritter. Der Vize ist erst 24, ziemlich jung also, und er ist bestens gerüstet für eine lange, große Karriere. Im Deutschen Skiverband (DSV) blicken sie neidisch auf die Norweger, die ein schier unerschöpfliches Reservoir an Talenten haben. Den Deutschen wurde in dieser Saison massiv vor Augen geführt, dass bei ihnen Talente nicht so schnell nachwachsen. Bei den Frauen zählen nur Franziska Preuß (27) und Denise Herrmann (32) zur Weltspitze, bei den Männern trifft dieses Prädikat nach dem Rücktritt von Arnd Peiffer (33) noch auf Benedikt Doll (30) und Erik Lesser (32) zu. Fast alle zählen zur Generation 30 plus. Düstere Aussichten.

 

Für den DSV hat die Zukunft in Östersund begonnen. Juliane Frühwirt (23), Justus Strelow (24) und David Zobel (24) erlebten ihre Weltcup-Taufe, für Vanessa Voigt (23) war es der zweite Auftritt in der Elite, auch Marion Deigentesch (26) und Anna Weidel (24) haben wenige Weltcup-Kilometer in den Beinen – selten zuvor war eine so wenig erfahrene Truppe angetreten. Strelow belegte die Plätze 37 (Sprint) und 30 (Verfolgung), Zobel schnitt ähnlich (52. und 32.) ab. Frühwirt (62.) und Deigentesch (68.) verpassten die Verfolgung, Weidel kam als 31. im Sprint ins Ziel, wurde aber nur 58. im Jagdrennen. Voigt überzeugte nach Rang 57 im Sprint mit Platz 25 in der Verfolgung. „Ich bin megafroh, dass ich mich im Weltcup beweisen durfte“, sagte sie, „die Saison mit den ersten Weltcup-Punkten abzuschließen, ist genial. Das ist Motivation für die nächste Saison.“

Rahmenbedingungen in Deutschland sind sehr gut

So soll es sein. Es ging für die Einsteiger darum, sich an die raue Weltcup-Luft zu gewöhnen. „Das sind nicht die absoluten Überflieger“, hatte Bernd Eisenbichler, der Sportliche Leiter Biathlon im DSV, vor Östersund eingeräumt, „doch ein Lägreid war mit 19, 20 Jahren auch kein Überflieger. Dann wurde sehr viel richtig gemacht. Das muss auch unser Anspruch sein.“ Das Buch mit vielen Siegeln der norwegischen Nachwuchsarbeit ins Deutsche zu übertragen, ist die Aufgabe von Zibi Szlufcik. Der ist seit 2019 Bundestrainer des Nachwuchses. „Es gibt keine Regel, wie es funktioniert“, sagt er, „aber es gibt Voraussetzungen, die vorhanden sein müssen. Diese Rahmenbedingungen haben wir allesamt.“

Szlufcik sieht Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Es fordert eine Abkehr davon, schon im Schüler- und Jugendbereich auf Medaillen zu schielen. Der 54-Jährige hat Ergebnislisten von 2007 bis 2017 durchforstet: In dieser Zeit haben 24 Talente insgesamt 36 Plaketten bei Großveranstaltungen gewonnen, doch kein Einziger ist im Weltcup angekommen. „Die sind einfach aus dem System verschwunden“, bemerkt Szlufcik. Er sieht die Ursache darin, dass nur Medaillen im Visier stehen, dass Entwicklungsfähigkeit, Persönlichkeit und das individuelle Potenzial nicht ausreichend bewertet werden. Denn die finanzielle Förderung ist an Resultate gekoppelt. Bei der Junioren-WM 2021 gab es zwei Medaillen für Deutschland, dennoch war der Nachwuchscoach zufriedener mit den Leistungen als im Jahr zuvor, obwohl 2020 doppelt so viele Plaketten an den DSV gingen. „Wir waren leistungsmäßig 2021 viel näher an der Spitze als 2020“, betont Szlufcik, „Medaillen interessieren weniger in diesen Altersklassen. Es geht um die Entwicklung und darum, den Anschluss nach vorn zu halten – die jungen Sportler müssen spüren, dass sie dazugehören.“

Talente sollen früher in die Weltelite

Talente benötigen eine Perspektive. Sie sollen, betont Szlufcik, wissen, was in den nächsten zwei, drei Jahren passieren wird – so könne eher verhindert werden, dass sie Lebewohl sagen. Der Perspektivkader soll nicht jährlich neu besetzt werden, um dem Nachwuchs eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten. Die Systeme von Junioren zum zweitklassigen IBU-Cup bis zum Weltcup sollen durchlässiger werden. „Wir müssen die Talente früher an die Weltelite heranführen“, fordert der Bundestrainer, „aber wir dürfen sie nicht verheizen.“ Was er sagen will: Auch nach schlechteren Resultaten gibt’s eine neue Chance, es wird nicht zügig befördert und schnell wieder degradiert, Leistungsdruck soll verkraftbar bleiben. Niemand muss wie Lägreid mit 24 den Gesamtweltcup gewinnen, weil aus Szlufciks Sicht ein Biathlet „zwischen 22 und 35 Jahren Höchstleistungen bringen kann“. In die zweite Garde will der DSV noch konsequenter investieren. „Mehr Lehrgänge, mehr Reibungspunkte, mehr Präsenzphasen an den Stützpunkten“, versprach Eisenbichler.

Um Nestwärme und Ansporn gleichermaßen zu erhöhen, kümmern sich die alten Hasen um die Küken. Franziska Preuß hat Marlene Fichtner (18) aus dem C-Kader unter ihren Fittichen, mit Anna Weidel verbindet sie zudem ein enges Band. Beide gehören zur gleichen Trainingsgruppe und teilten sich beim Weltcup in Nove Mesto ein Zimmer. „Es ist richtig, dass der Nachwuchs seine Chancen bekommt, um zu zeigen, was er kann“, sagte Preuß, „ich freue mich, wenn ich etwas weitergeben kann. Es ist ja unser gemeinsames Ziel, ein starkes Team zu formen.“ Da dürfte ihr niemand widersprechen.