Erster Gang Tisch zwo und Tisch fünf. Und wir haben noch vier Apéros hier laufen!“ – „Soll das etwa für zwei reichen? Wir brauchen noch einmal eine Soße für Tisch drei!“ Je mehr Gäste im Sternerestaurant Zauberlehrling in Stuttgart parallel versorgt werden müssen, desto höher steigt der Puls in der Küche – und im Service. Aus dem Kabeljau im Probekochen ist Zander geworden, ohne dass der Service davon gewusst hätte. Die Köche wiederum beklagen sich über verwirrende Bons, die bei ihnen landen. Und dann muss noch auf die Schnelle eine Alternative für einen Gast mit Paprika-Allergie gefunden werden. „Im Kühlhaus unten rechts!“
Gäste sind begeistert von den Fähigkeiten der Azubis
Es läuft noch nicht alles rund am ersten Abend der Azubiwoche im Zauberlehrling. Am nächsten Tag wird es Gesprächsbedarf im Team geben. Die Gäste aber bekommen nichts mit von vereinzelten Abstimmungsschwierigkeiten. Christian und Antje Röhrenbeck sind zum ersten Mal im Sternerestaurant des kleinen Designhotels im Bohnenviertel und genießen nun ein vergünstigtes Fünf-Gänge-Menü. Sie sind begeistert und können kaum glauben, dass dies alles von Azubis verantwortet wird.
Aber es ist so: In der Azubiwoche kümmern sich die Nachwuchskräfte um den Gastrobetrieb – von der Erstellung, Kalkulation und dem Wareneinkauf fürs Menü übers Zubereiten bis hin zum Servieren. Zwölf Auszubildende, acht in der Küche und vier im Service, arbeiten im Haus. Wegen Berufsschultagen, Urlaubszeiten und der Verteilung auf Sternerestaurant und das Bistro Wunderkammer sind nicht alle gleichzeitig da. An diesem Tag aber ist es in Sterneküche und -restaurant mit neun Azubis plus je einem Ausgelernten als Supervisor noch enger als sonst. Küchenchef Fabian Heldmann, der den vor 30 Jahren gegründeten Betrieb mit seinen Geschwistern Maxine und Valentin von den Eltern übernehmen wird, kann sich über mangelnden Nachwuchs nicht beklagen. „Für September haben wir schon zwei neue Frauen in der Küche“, sagt er. Problematischer ist es wie überall im Service. Für die beiden, die im Juni ihre Prüfung machen, gibt es noch keinen Ersatz. Generell sei man bestrebt, pro Jahr drei neue Azubistellen in der Küche zu besetzen, „denn meist gibt es einen, der abbricht“, sagt Fabian Heldmann. Häufig schon in den ersten Wochen der Probezeit – aus privaten Gründen.
Arbeitszeiten und Privatleben – ein schwieriges Thema
Die jungen Köche bestätigen denn auch, dass es bei ihren Arbeitszeiten mit Beziehungen und Freundeskreis nicht so ganz leicht sei. Sowohl Jonas Frohnmeyer, 22, als auch Felix Bogenschütz, 21, sind derzeit solo. Tjerk Hodbod, 19, und wie die anderen beiden im dritten Lehrjahr, hat zwar eine Freundin, die er aber meist erst ab 23 Uhr sehe. Wenn er nicht mit den anderen nach der Arbeit noch um die Häuser ziehe. Stressige Zeiten in der Küche vergleicht Felix mit „gemeinsam in die Schlacht ziehen. Das verbindet.“ Wie man auf der Berufsschule so höre, sei sei das nicht überall so. Die Chemie im Zauberlehrling aber scheint zu stimmen. Den familiären Betrieb haben sich die Azubis nach mehreren Bewerbungsgesprächen gezielt ausgesucht.
Nach dem Abi muss nicht irgendwas studiert werden
Jonas hat schon im Elternhaus viel gekocht, nach dem Abi angefangen, Mathe zu studieren, aber schnell gemerkt, dass das nichts für ihn ist. Da er sehr gut Französisch spricht, denkt er daran, nach der Ausbildung sein Glück im Mutterland der Haute Cuisine zu versuchen. Felix wollte „nicht irgendwas studieren, nur weil man Abi hat“, sondern lieber gleich seiner Leidenschaft nachgehen. Tjerk, der einen Realschulabschluss hat, weiß sogar schon den Küchenposten, auf dem er künftig arbeiten will. Nur wenige wollen sich auf Patisserie festlegen, aber Tjerk sagt: „Bei Philipp habe ich gesehen, was da geht.“ Er meint Philipp Kortyka, der als Souschef aus dem Drei-Sterne-Restaurant Überfahrt am Tegernsee in den Zauberlehrling gekommen ist und die wohl spannendsten Desserts der Stadt macht.
Motivation für den Service: Gäste glücklich machen
Und der Umgang mit den Gästen? Anna-Lena Weiß, 20, ist im zweiten Lehrjahr, hat nach der Realschule ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Freizeitheim gemacht und schwärmt davon, „wie man Menschen glücklich machen kann“. Wenn mal ein Gast schwieriger sei, müsse man eben schauen, woran es liegen könnte. Potenzielle Stressfaktoren bezeichnet sie als Herausforderung, „in einen Flow zu kommen“. Luisa Rubröder, 27, die schon während ihres Linguistikstudiums in der Gastronomie gejobbt und sich dann umentschieden hat, wird im Sommer ihre IHK-Prüfung als Restaurantfachfrau mit Zusatzqualifikation Küchenmanagement ablegen. Sie liebt an ihrer Arbeit, dass man „viele interessante Leute kennenlernen kann“. Da ihr Freund ebenfalls in der Branche ist – im dritten Lehrjahr als Koch im Restaurant Im Künstlerhaus –, ist es gut möglich, dass die beiden eines Tages ihren Traum von einem eigenen Betrieb verwirklichen.
Küchenchef Fabian Heldmann nutzt die Azubiwoche, in der er sich voll und ganz auf sein Team verlässt, für eine Art privater Fortbildung in München als Gast im neuen Restaurant des ehemaligen Drei-Sterne-Küchenchefs Jan Hartwig. Zu Hause hält ja noch sein Vater Axel Heldmann die Stellung. Und obwohl die Servicefrauen sich gut mit den passenden Weinen zum Azubimenü auskennen – so ein Seniorchef als Back-up hat auch etwas Beruhigendes, wenn ein Gast wie an diesem Abend etwas ganz Besonderes möchte. Einen Wein, der älter ist als die meisten der Zauberlehrlinge, einen 99er Péssac-Leognan für 200 Euro die Flasche.
Ausbildungszahlen im Gastgewerbe und das Problem mit der Abbruchquote
Ausbildungsverhältnisse
Nach Jahren des – auch coronabedingten – Rückgangs der Ausbildungsverträge sind 2022 die Zahlen im baden-württembergischen Gastgewerbe wieder nach oben gegangen. 2466 neue Verträge wurden abgeschlossen, das sind 26,7 Prozent mehr als im Vorjahr und sogar ein paar wenige mehr als im Vorkrisenjahr 2019. Somit liegt die Gesamtzahl der Ausbildungsverhältnisse in den sieben verschiedenen Berufsbildern bei 4988. Daniel Ohl, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), begründet dies auch mit der Modernisierung der Berufe und mit der deutlichen Anhebung des Entgelttarifvertrags.
Abbruch- und Lösungsquote
Immer wieder Thema in den Medien ist die hohe Abbruchquote der Auszubildenden im Gastgewerbe von um die 50 Prozent. Dehoga-Sprecher Ohl erklärt, dass häufig die Abbruchquote mit der Lösungsquote gleichgesetzt werde. In Letzterer seien auch Rechtsformwechsel und Schließungen des Ausbildungsbetriebs sowie Berufswechsel innerhalb der Branche und Kündigungen durch den Arbeitgeber enthalten. Die Abbruchquote der Auszubildenden selbst werde „derzeit nicht ausreichend differenziert erhoben“. Man muss davon ausgehen, dass sie zwar hoch, aber längst nicht so hoch wie die Lösungsquote ist. mri