Die Statistik legt nahe, dass manchen Berufen das Aussterben droht – mangels Nachwuchs. Nur in wenigen Modeberufen gelingt die Suche nach Auszubildenden mühelos. Die Arbeitgeber beklagen eine vielfach mangelhafte Bildung der Bewerber.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Nichts bewegt Unternehmer derzeit mehr als der Fachkräftemangel. „Das ist das beherrschende Thema in den Betrieben“, sagt Andreas Hadler, der Präsident der Industrie- und Handelskammer im Landkreis Böblingen. „Und ich fürchte, es wird uns noch viel schwerer auf die Füße fallen, als wir es bisher erwarten.“

 

Weil der Fachkräftemangel von morgen der Lehrlingsmangel von heute ist, erhebt die Böblinger IHK ihre eigene Statistik zum Ausbildungsmarkt. Rechnerisch ist dabei kein Mangel erkennbar, jedenfalls gemessen an den Zahlen der Arbeitsagentur. Dort waren im jüngsten Ausbildungsjahr 2701 Bewerber gemeldet, die um 2322 Ausbildungsplätze konkurrierten. Damit entfielen auf 100 Bewerber 86 Stellen. Allerdings „melden sich bei der Arbeitsagentur längst nicht alle, von beiden Seiten nicht“, sagt Marion Oker, die Geschäftsführerin der IHK.

Mehr als ein Viertel der Ausbildungsplätze blieben unbesetzt

Die Zahlen der Kammer legen einen anderen Schluss nahe als den der Arbeitsagentur, dass 14 von 100 Bewerbern keine Lehrstelle fanden, nicht nur für den Landkreis, für die gesamte Region: „Der Ausbildungsmarkt ist und bleibt ein Bewerbermarkt.“ Dieser Satz steht als zentrales Ergebnis einer Umfrage unter allen Kammer-Mitgliedern. Mehr als ein Viertel der Ausbildungsplätze blieben im vergangenen Jahr unbesetzt. Vor zwei Jahren war es sogar fast ein Drittel.

Dies, obwohl die Unternehmen im Werben um den Nachwuchs erhebliche Bemühungen für sich geltend machen. 16,5 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ihren Lehrlingen Auslandsaufenthalte anbieten, 18,7 Prozent werben mit Fremdsprachenunterricht, gut zehn Prozent stellen ihren Lehrlingen ehrenamtliche Ausbildungspaten zur Seite. Dass die Betriebe versuchen, den Nachwuchs zu locken statt auf Bewerbungen zu hoffen, ist längst Normalität. Allein die IHK Böblingen veranstaltet eine Ausbildungsbörse und eine lange Nacht der Betriebe. Am 21. Juni folgt der letzte Versuch: In einer Art Speed-Dating sollen Bewerber und Betriebe in letzter Minute noch zusammenkommen.

Qualifikation abseits der Ausbildungsinhalte scheint angeraten

Qualifikation abseits der Ausbildungsinhalte scheint gemessen an der IHK-Umfrage angeraten. Laut den Ergebnissen beherrscht knapp die Hälfte der Schulabgänger die Grundrechenarten unzureichend. Jeweils mehr als der Hälfte der Bewerber bescheinigen die Betriebe, ihnen fehle es an Disziplin oder Belastbarkeit. Bei zwei Dritteln stellten sie mangelndes Sprachvermögen fest, bei mehr als einem Drittel beklagten sie schlechtes Benehmen. Nur 6,8 Prozent der Betriebe bescheinigten ihren Bewerbern, sie seien frei von Tadel. Ein Viertel gab an, Lehrlinge seien zum Ausbildungsbeginn schlicht nicht erschienen.

Im Branchenvergleich hatten lediglich die Immobilienbüros keine Mühe, qualifizierte Auszubildende zu finden. Beliebt sind beim Nachwuchs auch die Medienberufe und die Informationstechnologie. In beiden blieben weniger als 15 Prozent der Stellen offen. Am Ende der Tabelle steht das Gastgewerbe, in dem sich für vier von fünf Stellen kein Interessent fand. Auch das Baugewerbe hat seine Mühe. Mehr als die Hälfte der Ausbildungsplätze blieb frei.

Mehr als die Hälfte der Bewerber entfällt auf die beliebtesten zehn Berufe

„Im Industrielandkreis Böblingen macht insbesondere die Entwicklung bei den technischen Berufen Sorge“, sagt Hadler, der IHK-Präsident. Das Interesse an ihnen geht zurück, das an kaufmännischen Ausbildungen steigt stetig. Dies spiegelt sich in den Zahlen für die zehn beliebtesten Berufe. Die kaufmännische Lehre im Einzelhandel führt die Skala mit Abstand an. Selbst der Lagerlogistiker steht in der Gunst der Bewerber noch vor dem nach wie vor beliebtesten Handwerksberuf: dem Mechatroniker. Insgesamt entfallen auf die Top Ten mehr als die Hälfte aller Interessenten für die mehr als 100 Ausbildungsberufe. Entsprechenden Kummer haben die unbeliebten Branchen. Gut 18 Prozent der Unternehmen erklärten, für ihre Lehrstellen habe sich kein einziger Bewerber auch nur interessiert.

Derlei Erfahrungen scheinen zu entmutigen. Im Kreis Böblingen bilden 769 Betriebe aus. Etwa ebensoviele haben dazu zwar die Berechtigung, verzichten aber.