Wo ist der Nachwuchs? Das deutsche Tennis hat ein Problem. Die nächsten Generationen sollen von einer neuen Philosophie in der Ausbildung profitieren. Ob’s hilft?

Stuttgart/Melbourne - Der Mann, auf dem einmal die größten deutschen Nachwuchshoffnungen neben Alexander Zverev ruhten, hatte in der vergangenen Woche ein eher diskretes Tennisengagement. Nicola Kuhn, einstmals Weltmeister mit der deutschen U-14-Juniorenauswahl, trat beim Challenger-2-Wettbewerb in Thailands Hauptstadt Bangkok an. In der ersten Runde war dann allerdings auch schon alles vorbei für Kuhn, er unterlag dem Russen Aslan Kasbekowitsch Karazew in drei Sätzen. Kuhn, man muss es dazu sagen, ist schon seit einiger Zeit nicht mehr unter deutscher Flagge unterwegs – er vertritt nun die spanischen Farben, auch weil er schon viele Jugendjahre auf der Iberischen Halbinsel trainierte.

 

Aber Kuhns nicht ganz störungsfreie Entwicklung, auch sein Abschied vom Deutschen Tennis-Bund (DTB), fügt sich in ein Bild mancher Enttäuschungen und Rückschläge in der deutschen Talentförderung. Auch Rudi Mollekers Karriereentwicklung gehört dazu, der junge Brandenburger war wie Kuhn Mitglied der U-14-Truppe, die einst ganz oben auf dem Treppchen stand bei der Weltmeisterschaft. Molleker hat den Mumm, die Leidenschaft und die Klasse, um einmal ein Großer zu werden. Aber er gilt eben auch als schwieriger Fall, als komplexer Charakter, als einer, der Schwierigkeiten hat, mit der Autorität eines Trainer klarzukommen.

Viele Coaches verschliss er in jungen Jahren schon, ein munteres Wechselspielchen war da zu beobachten, selbst Boris Becker, der Herrenchef des DTB musste eingreifen und anmahnen, Molleker müsse die großzügige Förderung durch den DTB auch mit Leistung rechtfertigen.

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Während die besten Tennisspielerinnen der Welt gerade um den ersten Grand-Slam-Titel in Australien kämpfen, sind Kuhn und Molleker nicht mit im großen Spiel – Molleker musste wegen einer Verletzung seine Teilnahme an den Qualifikationsmatches zum Hauptfeld absagen. Ein automatischer Startplatz war ihm sowieso nicht garantiert, er steht aktuell auf Platz 165 der Welt. Molleker hat seine Zukunft noch vor sich, eine ungewisse Zukunft, denn noch steht das Verhandlungsergebnis aus, ob der 19-Jährige den schwierigen Übergang vom Junioren- ins Erwachsenentennis erfolgreich schafft. Die Bilanz der letzten Jahre bei dieser sogenannten Transition-Wegstrecke, von der Ausbildungs- zur echten Berufszeit, fiel für den DTB mager aus – sieht man vom Ausnahmetalent Zverev ab, dessen Aufstieg eine Familienangelegenheit ist.

In diesen Tagen steht außer Zverev kein deutscher Spieler unter 25 auf einem relevanten Platz in der Weltrangliste. Hinter Molleker (165) folgen Daniel Altmaier (263), Maximilian Marterer (274), Benjamin Hassan (322) und Louis Wessels (427) außer Reichweite der engeren und erweiterten Weltspitze. Marterer allerdings stand schon einmal unter den Top 100, wurde dann durch Verletzungen zurückgeworfen, ihm trauen die DTB-Coaches einen Wiederaufstieg zu. Genau 25 Jahre alt ist der Aufsteiger der letzten Saison, der Schwarzwälder Dominik Köpfer, er ist quasi ein Neuling im Tourgeschäft, nachdem er sich übers US-Collegetennis in den Wanderzirkus gefightet hatte.

Nicht Köpfer, Marterer und Co., sondern kommende Generationen sollen von einer veränderten Philosophie in der Ausbildung profitieren, einer früheren Zentralisierung der besten Junioren. „Wir waren bisher zu spät dran, unsere Besten zusammenzuziehen und sie schon einer gesunden Rivalität auszusetzen“, sagt DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard. Lesen Sie auch: Kerbers Comeback-Tour mit Hindernissen

Bei den Frauen klafft hinter der Generation der großen Leistungsträgerinnen eine noch bedenklichere Lücke. Angelique Kerber, Julia Görges, Andrea Petkovic, Laura Siegemund und Tatiana Maria sind alle schon jenseits der dreißig. Sie haben zwar in der veränderten Tenniswelt mit neuen Karrierehorizonten noch einige gute Jahre vor sich, aber irgendwie auch schon das Ende vor Augen. Spielerinnen, die diese „goldene Generation“ ersetzen könnten, auch nur annäherungsweise, sind nicht in Sicht – es ist nicht nur ein Problem für den DTB selbst, sondern auch für die Turnierveranstalter landauf, landab. Für den Stuttgarter Porsche Grand Prix, aber auch für die Wettbewerbe, die ab 2020 bzw. 2021 in Berlin, Bad Homburg und Köln stattfinden werden.

Unter den Top 200 stehen augenblicklich nur zwei deutsche Spielerinnen unter 25 Jahren, die Hamburgerin Tamara Korpatsch (110) und die Rheinländerin Antonia Lottner (156). Lottner, die einst bei Grand-Slam-Juniorenwettbewerben zur Weltspitze zählte und mit einer wie der Schweizerin Belinda Bencic (aktuell Weltranglistenplatz 8) auf Augenhöhe unterwegs war, tritt bei den Erwachsenen auf der Stelle, ein Durchbruch wirkt gegenwärtig unrealistisch. Noch weiter hinten sind gegenwärtig Spielerinnen wie Katharina Hobgarski (241), Katharina Gerlach (245) oder Jule Niemeier (300) postiert, die in den letzten Jahren im sogenannten Porsche-Nachwuchsteam standen, für die aber die große Tour noch eine Nummer zu groß ist. Ganz ausgefallen in dieser Abrechnung ist die Hamburgerin Carina Witthöft, der es bei allem Potenzial am entscheidenden Biss fehlte, um in den Härten des Profigeschäfts bestehen zu können. Witthöft zog selbst die Konsequenzen daraus und verabschiedete sich erst einmal vom Berufstennis, zuletzt machte sie einige Schlagzeilen mit der Ankündigung, Trainerstunden für interessierte Amateurspieler zu geben.

Kerber hatte das deutsche Tennis vor vier Jahren mit ihrem Australian-Open-Sieg „wieder wirklich zurück auf die Landkarte gebracht“, wie Tenniskanzler Boris Becker feststellte. Nun aber droht erst einmal Bedeutungsverlust, vor allem dann, wenn Alexander Zverev im Kampf der baldigen oder zukünftigen Thronjäger an Boden verlieren sollte. Und wenn sich herausstellen sollte, dass Kerber und Co. vielleicht ihre allerbesten Zeiten hinter sich haben und die ganz lukrativen Ziele nicht mehr ins Auge fassen dürfen.

Barbara Rittner, die Damenchefin des Deutschen Tennis-Bunds, schwört die Fans erst mal auf eine Durststrecke ein, bevor es dann in etwas ferner Zukunft aus ihrer Sicht wieder aufwärts gehen könnte: „Die Jahrgänge 2002 bis 2004 haben spielerisch ein ähnliches Potenzial wie die goldene Generation. Ob alle die Härte haben, sich durch Höhen und Tiefen durchzubeißen, ist allerdings die Frage“, so Rittner, „da gibt es keine Garantie.“ Und dann gibt sie ihren Talenten noch dies mit auf den Weg: „Manchmal ist es besser, größer zu denken, positiver auch. Wir sind in Deutschland oft zu vorsichtig. Schauen wir nur auf Cori Gauff, die 15-jährige Amerikanerin.“